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Teufelszorn - Funkenfluch (German Edition)

Teufelszorn - Funkenfluch (German Edition)

Titel: Teufelszorn - Funkenfluch (German Edition)
Autoren: Urs Bigler
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sich drehen und stellte fest, dass er sich fast nicht rühren konnte, denn sein Körper war ein grässlich schwerer Klotz und eine einzige Wunde, die überall brannte und auf die Dutzende von Vögeln mit ihren Schnäbeln einzuhacken schienen.
    Oder war er von einer Karre überfahren worden?
    Mit Mühe zerrte er seinen Arm unter dem Bauch hervor und allmählich dämmerte ihm.
    Kummerlingen – er war in Kummerlingen!
    Er hatte mit Pater Clemens gestritten, war lange marschiert, hatte irgendwie nach einem Städtchen gefunden, das Kummerlingen hieß, und jetzt …jetzt lag er in einer Mauernische, über und über verschmiert, den Mund voller Dreck und wie von tausend Geierschnäbeln malträtiert.
    Angewidert spuckte er auf den Boden, versuchte den schlammigen Brei auszuspeien, bis er merkte, dass ihm der Speichel dazu nicht reichte.
    Er überlegte, ob er wieder ohnmächtig werden sollte. Um seine geplagten Knochen und seine schmutzigsteife Zunge zu vergessen, den Gassenunrat, der wie sandiger Kleister die Lippen verklebte, ebenso das Geschrei der Menschen, die, wie ihm schien, lauter geworden waren, die johlten und pfiffen, als wären sie hier wegen eines Gauklers oder Spaßmachers.
    Was war nur in die gefahren?
    Er gehörte nicht zu ihnen.
    Der Reflex, sich die Ohren zuzuhalten, blieb in seinen Armen stecken.
    Er bugsierte mit der Zunge Dreckklümpchen aus dem Mund und drehte sich ein wenig um.
    Heilandzack, warum diese Trägheit?
    Er war schwer, schrecklich schwer, ein Walfisch an Land! Das Einzige, was er tun konnte, war die Augen schließen, nichts mehr fühlen und sich zu einem klanglosen Abgang durchringen.
    Doch wollte er einen klanglosen Abgang?
    Stöhnend hob er seinen Oberkörper und versuchte sich aufzustützen.
    Ein stechendes Feuer, das ihm von den Fingern zum Arm hochzuckte, bremste ihn und ließ ihn zurück in den Schlamm plumpsen.
    «Henker, führt sie raus, wir wollen sie sehen!»
    Der Ruf eines Lederbeschürzten wirkte wie ein brennender Zunder im Heuhaufen und im Handumdrehen schrie die Rotte im Chor:
    «Führt sie raus! Raus mit ihnen! Raus mit den Teufelsweibern!»
    Mit einem Schlag verstand Arno.
    Der Gefängnisturm.
    Er hatte ihn gefunden.
    Er lag vor Mirjams und Lenas Kerker, wenige Schritte davon entfernt, er hatte die ganze Zeit davor gelegen, nahe bei Lena und Mirjam, sehr nahe und doch unendlich fern, weil getrennt durch meterdickes gemauertes Gestein.
    Er tastete nach der Wand, bemühte sich hochzurappeln und wurde vom Feuer in den Fingern erneut in den Schlamm zurückgeworfen.
    Seufzend drehte er sich zur Seite, blinzelte, um kratzenden Dreck aus dem linken Auge zu kriegen, und starrte an die Mauer.
    Er war kein Mensch mehr. Er war ein Käfer, ein Winterkäfer, ein Sommerkäfer, ein Eiskäfer, ein Glutkäfer, der in einen Kupferkessel gefallen war und keinen Halt fand.
    Das Ende war nah, er spürte es.
    Ein Sommergewitter würde aufziehen, den Kessel mit Regenwasser füllen, und er würde erbärmlich ersaufen.
    «Fort mit Euch! Weg, verschwindet!»
    Die Stimme, die aus der Höhe gerufen hatte, klang heiser. Unweigerlich hob Arno den Kopf und erkannte einen kahlen Mann in Lederhemd, der aus dem Gefängnisturm getreten war. Er stützte sich auf die Brüstung vor dem Eingang, der sich etwa zehn Meter über dem Boden befand und zu dem man über eine schmale Holztreppe gelangte.
    «Fort mit euch!», schrie er wieder.
    «Die Hexenweiber! Wir wollen sie sehen!»
    Die Forderung stellte eine ältere Frau, auf deren Rippen und Hintern Vorrat für zwei Hungersnöte lagerte und die ihr graues Haar mit einer gestärkten weißen Haube vor Vogeldreck schützte.
    «Fort, weg mit euch!», knurrte der Mann. «Sonst holt euch Satan! Der war eben hier! Hat den Weibern den Hals umgedreht!»
    Die Worte hatten die Kraft eines unerwarteten Donners.
    Schlagartig verebbte das lärmende Stimmendurcheinander und auf dem Platz wurde es still. Niemand sagte jetzt noch etwas, man beschränkte sich, auf der Zunge herumzukauen und nachdenklich aus der Wäsche zu gucken.
    Arno hatte das Gefühl zu ersticken.
    An Schreien, die er nicht ausstoßen konnte.
    Er war zu spät, er war vergeblich, er war umsonst gekommen. Es würde nicht mehr helfen, wenn er die Türschlösser knackte oder ein Loch in die Mauer sprengte!
    Mirjam und Lena waren…
    Würgend und schlotternd starrte er zu den Menschen und beobachtete, wie sie dem Blick des Henkerknechts auswichen, verstört auf den Boden glotzten und wie ein Mann die Hand auf den Kopf
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