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Terra Mater

Terra Mater

Titel: Terra Mater
Autoren: P Bordage
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melodische Töne, die von nirgendwoher zu kommen schienen, weil sie eher von innen als von außen zu vernehmen waren. Dieses ungewöhnliche Konzert war ein Zusammenklang aus Tierstimmen und Naturgeräuschen, so ergreifend, dass Tränen in ihre Augen traten.

    Als dieses Konzert immer lauter wurde, fielen Lichtsäulen vom Himmel; die dunklen Wände des Kraters erstrahlten plötzlich in unvergleichlich schönen blauen und grünen Farbtönen. Dann ertönte lautes Geschrei, und eine schwarze Wolke schwebte über dem Vulkan.
    »Da sind sie! Da sind sie!«, rief Yelle.
    Sie stand auf und rannte los, so als wollte sie den himmlischen Zugvögeln entgegenfliegen. Ihr goldenes Haar glich einer wehenden Flamme im Wind.
    Das Licht der Säulen blendete Aphykit. Sie schirmte ihre Augen mit der Hand ab und blickte dem dunklen und gleichzeitig glänzenden Vogelschwarm entgegen. Ihr Flügelschlag  – der tausendfach an den Vulkanwänden widerhallte  – wurde zu einem mächtigen Brausen.
    Nur vier Vögel flogen ins Innere einer Säule und glitten in den Krater hinab. Trotz ihrer Masse wirkten sie federleicht. Einer nach dem anderen landeten sie in einiger Entfernung, und die Kristalle in ihren Panzern blinkten nicht mehr. Sie falteten ihre Flügel, traten aus den Lichtkreisen und bewegten sich schwerfällig fort, bis sie erschöpft niedersanken, während die anderen weiter über dem Krater kreisten und schrille Schreie ausstießen.
    Zwei Xaxas waren sehr groß – zwischen zwanzig und dreißig Meter lang –, zwei waren kleiner – zwischen fünf und zehn Meter lang.
    Yelle ging zu einem der Vögel und musterte ihn. Er sah so gar nicht wie die ihr bekannten Lebewesen aus, keine Augen, kein Schnabel.
    Dann begannen sie, sich um sich selbst zu drehen und legten sich auf die Seite, damit ihre Bäuche freilagen.
    Als Yelle den Xaxas umrundete, entdeckte sie die Öffnung unter seinem Schwanz, die sich sichtbar weitete. Zuckungen
durchliefen den Körper des Vogels. Ein menschlicher Kopf erschien, dann die Schultern, die Arme, der Rumpf, die Beine. Es war eine Frau mit langem schwarzem Haar. Sie bewegte langsam ihre Glieder.
    Yelle lief zum größten Zugvogel. Neben ihm lag ein Mann, auch er hatte schwarzes glattes Haar und eine braune Haut. Er drehte den Kopf und sah das kleine Mädchen benommen an.
    Neben dem dritten Zugvogel entdeckte sie einen ausgemergelten Greis mit weißem Haar. Er atmete mühsam und wand sich wie ein Wurm. Sie begriff sofort, dass er im Sterben lag.
    Schließlich ging sie zu dem vierten Xaxas, der einen tiefschwarzen Panzer hatte. Dieser Vogel hatte keinen Menschen ausgestoßen, sondern einen weißen Kokon.
    Yelle stieß einen Schrei der Verzweiflung aus, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    »Was hast du, Yelle?«, fragte Aphykit. Sie war gekommen und legte ihrer Tochter jetzt die Hände auf die Schultern.
    »Er ist nicht da.«
    »Wer?«
    »Der Junge, auf den ich gewartet habe …«
    Das war es also, dachte Aphykit. Nicht einen Mann hast du erwartet, sondern ein Kind …
    Die Frau und der Mann waren inzwischen aufgestanden und umarmten sich lange. Aphykit freute sich einerseits über die Ankunft dieser Menschen, andererseits war sie traurig, weil sie Yelles Enttäuschung teilte.
    Die vier Zugvögel indessen richteten sich mit derselben Schwerfälligkeit wieder auf, mit der sie sich auf die Seite gelegt hatten.
    »Prinz der Hyänen!«, rief plötzlich der Mann.

    Yelle schloss die Augen, wie sie es vor dem Strauch mit den leuchtenden Blüten zu tun pflegte, kniete sich vor den Xaxas. Die über ihnen kreisenden Zugvögel schrien immer lauter.
    »Prinz der Hyänen!«, rief der Mann noch einmal.
    Er löste sich aus der Umarmung und ging zu Aphykit. Er war groß und sehr schlank und hatte die Ausstrahlung eines Fürsten, trotz seiner Nacktheit vor einer ihm unbekannten Frau.
    »Sie haben nicht einen Jungen von acht oder neun Jahren gesehen?«, fragte er angstvoll.
    »Nur drei Erwachsene und etwas, das wie eine Chrysalide aussieht«, antwortete Aphykit.
    Es muss eine zweite Feuerraupe in dem Xaxas gegeben haben, sagte er mit einem verzweifelten Blick auf den Kokon. »Denn es steht in der Neuen Bibel Jer Salems geschrieben: ›Hüte dich, o gläubige Seele, in den Bauch eines Xaxas’ zu schlüpfen, der zwei himmlische Chrysaliden beherbergt, denn fürchterlich ist die Raupe, deren Schwester ihre Metamorphose verhindert hat …‹«
    Inzwischen hatten die Zugvögel ihre ursprüngliche Position wieder
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