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Terra Madre

Terra Madre

Titel: Terra Madre
Autoren: Carlo Petrini
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wichtigen Persönlichkeiten wie Prinz Charles von England oder Vandana Shiva. Sie feierten gemeinsam, auch abends in den sie beherbergenden Dörfern, und entdeckten zusammen die Piemonteser Wein- und Esskultur und die örtliche Landwirtschaft. Die Workshops im Rahmen des Treffens widmeten sich spezifischen Themenkreisen und Problemfeldern und förderten den Erfahrungsaustausch. In diesen Teil der Veranstaltung griffen wir bewusst nicht ein; am wichtigsten für uns waren die Reise als solche, der Aufbruch zur Entdeckung anderer Teile der Welt, anderer Landwirtschaften, sowie die persönlichen Begegnungen. Sie bereicherten die Teilnehmer nicht nur, sondern weckten auf gewisse Weise auch ihren Stolz auf die eigene Identität wieder neu (Identität definiert sich über Unterschiede). Wir waren uns sicher, dass bei einer solchen Begegnung zwischen unterschiedlichen Identitäten auch etwas Unvorhergesehenes entstehen würde. Daher beschränkten wir uns auf ein Minimum an Organisation, um den Delegierten der Gemeinschaften vor allem eine gute Betreuung zu bieten.
    Und es ereignete sich wirklich Außerordentliches. Obwohl wir Simultanübersetzungen in sieben Sprachen vorgesehen hatten, kam es vor, dass Bauern aus verschiedenen Nationen improvisierten, mit Gesten kommunizierten und ihrem Gegenüber so ihre Arbeitstechniken, ihre Anbaumethoden oder die Eigenschaften ihres Bodens erklärten. Und sie verstanden sich! Sie führten uns vor Augen, dass alle Bauern auf der Welt dieselbe Sprache sprechen. Wer die Erde liebt, sie kennt und bebaut, für den gibt es keine Grenzen oder Hindernisse. Die Beziehung zu den Gastgebern verwandelte sich in vielen Fällen in aufrichtige Freundschaft, und es gibt zahlreiche Beispiele von Piemonteser Bauern, die im Anschluss daran ihre Ferien bei den von ihnen beherbergten Gemeinschaften verbrachten. Andere hielten Kontakt aus persönlicher Sympathie oder weil sie den gleichen Kampf fochten, wenn auch in einer anderen Ecke der Welt. Andere benötigten Informationen, wollten Experimente anstellen oder sich über Arbeitstechniken vor Ort austauschen. Es war ein Netzwerk von Freunden entstanden, das unsere kühnsten Erwartungen übertraf. Wir realisierten sofort, noch bevor die Gemeinschaften Turin verließen, dass hier ein neues globales Netzwerk das Licht der Welt erblickt hatte. Es war in der Lage, vor Ort zu handeln, aber auch als kompakte Einheit aufzutreten. Die Personen dieses kollektiven Gebildes hatten sich bis vor Kurzem in einem stoischen, bereits verloren geglaubten Kampf isoliert und alleine gefühlt. In Turin wurde eine neue Hoffnung geboren: in ihnen, in uns, in allen, die uns beobachteten.
    Wer uns für verrückt erklärt hatte, weil wir uns die Organisation eines Treffens dieser Größenordnung und mit diesen Kriterien aufgebürdet hatten, musste sich eines Besseren belehren lassen. Und selbst wir stellten zu unserer großen Freude fest, dass etwas weit Bedeutenderes entstanden war, als wir je zu hoffen gewagt hatten. Das Einzige, was uns dazu einfiel, war, das Ganze weiter auszubauen, das heißt mehr Leute zu beteiligen und das Netzwerk weiter zu öffnen – nach den Kriterien dessen, was wir unter »Welt der Lebensmittel« verstehen: eine Welt nämlich, die Ausdruck einer ganzheitlichen Sicht ist und die sich der verborgenen Zusammenhänge zwischen Landwirtschaft, Ernährung, Küche, Wirtschaft, Geschichte und Wissenschaft bewusst ist; in der unterschiedliche Formen des Wissens, der Aufgabenverteilung und der Kompetenzen ineinanderfließen und sich gegenseitig befruchten, wo für Reduktionismus und eine mechanistische Weltsicht kein Platz ist.
    Für das Treffen 2006 beschlossen wir daher, das Forum zu erweitern und auch das kulinarische Know-how und das Spannungsfeld zwischen moderner Wissenschaft und überliefertem Wissen einzubeziehen. Zusätzlich zu den Lebensmittelbündnissen luden wir 1.000 Köchinnen und Köche ein – vom Sternekoch bis zum einfachen Gastwirt. Sie stellten ihre Erfahrungen denjenigen der Lebensmittelerzeuger gegenüber. Alle verpflichteten sich, fortan die Produkte jener Bündnisse, die ihrem Restaurant am nächsten liegen, zu verwenden, und wurden damit in gewisser Weise Teil dieser Lebensmittelbündnisse. Neben den Köchen wurde das Treffen 2006 auch durch etwa 250 Universitätsvertreter bereichert. Sie alle unterschrieben eine Verpflichtung, das Wissen der Bauern zu erforschen, das traditionelle Volkswissen aufzuwerten, Altes und Neues ohne Vorurteile auf
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