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Terra Anchronos (German Edition)

Terra Anchronos (German Edition)

Titel: Terra Anchronos (German Edition)
Autoren: Andree Leu
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aber umso schneller aus dem Haus. Martha folgte dem Jungen, der schon über den Hof auf die alte Scheune zulief. An der alten Holzstiege wartete Arne atemlos.
    „Gib schon her!“, forderte er mit ausgestrecktem Arm, als Martha langsam auf ihn zukam. Vorsichtig zog sie das alte Papier aus dem Kleid und gab es mit zitternden Bewegungen in Arnes Hände. Der bedeutete ihr, ihm zu folgen. Dann sprang er die Holzstufen hinauf und ließ sich auf den Thron fallen.
    Wie enttäuscht war er, als beim ersten Blättern in den Papieren schon klar wurde, dass er nichts von dem Geschriebenen lesen konnte. Die Schrift sah sauber und ungemein akkurat aus, doch von den Buchstaben kannte Arne keinen einzigen.
    „Altdeutsch“, flüsterte Martha, die direkt hinter Arne stand und über seine Schulter spähte. Arne drehte sich um und sah direkt in die Augen des Mädchens.
    Wieder schienen sie unendlich weit fort. Sie waren an einem Ort, den Arne nicht sehen konnte, der nur in Marthas Gedanken Gestalt annahm.
    „Kannst du das lesen?“
    Martha nahm ihm die Akte aus der Hand und hockte sich auf das Lager aus Heu, das vom Vortag noch liegen geblieben war. Angestrengt verfolgte Martha mit dem Zeigefinger Wort für Wort, Zeile um Zeile des Geschriebenen. Oftmals stockte sie und schien nicht weiterlesen zu wollen. Arne wurde ungeduldig.
    „Kannst du am Ende gar nicht lesen?“ Fragend schaute er in das Gesicht des Mädchens und bemerkte dicke Tränen, die zunächst langsam die Augen füllten.
    „Mein Bruder hat es mir beigebracht.“ Martha wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht.
    Arne wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Als Martha aber immer heftiger zu schluchzen begann und nur noch wie ein Häuflein Elend aussah, nahm er sie zaghaft in den Arm.
    „Was steht denn da? Lies es mir doch einfach vor.“
    „Es sind nur Lügen. Nichts von dem, was hier steht, stimmt.“ Das Mädchen ließ sich in Arnes Arme sinken. Der Junge wartete eine Weile, bis Martha sich aus seiner Umarmung frei machte und ihn ansah.
    „Willst du es wirklich hören?“
    Arne nickte stumm.
    „Du darfst es aber niemals jemandem erzählen.“
    „Ich schwöre.“ Arne schluckte schwer, als er die Finger zum Eid hob.
    „Hier steht, dass mein Name Martha Achterdiek ist. Das stimmt. Auch, dass mein Vater ein Fischer aus Bensersiel ist. Aber alles andere ist gelogen.“
    Martha stockte und Arne wagte kaum seine Neugierde zu zeigen. Doch was Martha sagte, konnte einfach nicht stimmen.
    „Die Polizeiakte ist doch aus dem Jahr 1824. Wie kann darin etwas von dir stehen?“ Arnes Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, dass er Marthas Wor te für absolut abwegig, sogar verrückt hielt. Martha zeigte sich unbeeindruckt und ging nicht auf Arnes Einwand ein.
    „Eigentlich war es nicht mein Vater, sondern mein Stiefvater. Brunken Achterdiek war sein Name. Er sei verflucht bis in alle Zeiten.“ Schnell schlug Martha ein Kreuz über der Brust.
    Die letzten Worte konnte Arne kaum verstehen, so leise hatte Martha gemurmelt. Langsam erhob sich das Mädchen und ging tief in Gedanken versunken durch den Raum. Fast glaubte Arne schon, sie würde nicht weitersprechen, als sie sich plötzlich umdrehte und ihn fest ansah.
    „Mein Stiefbruder war sterbenskrank. Er hustete schon fast ein halbes Jahr ganz schrecklich. Manchmal spuckte er Blut auf den Boden. Immer öfter geschah es, dass er sich in der Nacht nicht aus dem Bett quälen konnte, wenn er mit seinem Vater auf das Meer hinaus sollte. Und eines Tages halfen auch die Schläge nicht mehr, mit denen Piet, so hieß mein Bruder, zur Arbeit getrieben wurde.“
    „Dein Vater hat Piet geschlagen, weil er krank war?“
    Arne dachte daran, wie seine eigene Mutter ihn umsorgte, wenn er einmal krank war und das Bett nicht verlassen konnte. Dann bekam er eine Wärmflasche, heiße Milch mit Honig, und Geschichten wurden vorgelesen.
    Krankheit war doch nichts, wofür man bestraft wurde.
    „Allein konnte mein Stiefvater die Arbeit auf dem Boot nicht schaffen. Wir waren arm, hatten kein Geld für Medizin oder einen Arzt. Piet musste helfen. Ob er wollte oder nicht.“
    „Aber wenn er doch nicht konnte. Was nützen denn dann Schläge?“ Arne war sich nicht mehr bewusst, dass er vor wenigen Augenblicken noch glaubte, Martha sei verrückt. Vor seinen Augen entstand das Bild eines Jungen, der sterbenskrank im Bett einer halb verfallenen Fischerhütte liegt und seinen Vater anfleht, ihn doch ausruhen zu lassen. Arne sah
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