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Teranesia

Titel: Teranesia
Autoren: Greg Egan
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konnte.
    Das plötzliche Ende seiner Anstrengung machte ihn schwindlig, und er hatte dunkle Nachbilder vor den Augen. Doch Prabir war ziemlich überzeugt, dass er einen nass schimmernden Fleck auf dem von der Sonne gebackenen Sand erkennen konnte, einen Schritt hinter der Wasserlinie, und dass die Feuchtigkeit vor seinen Augen verdunstete.
    Madhusree erklärte völlig ruhig: »Will zu Ma.«
    *
    Prabir durfte die Schmetterlingshütte nicht betreten. Weil der Malaria-Impfstoff bei ihm nicht wirkte, hatte er eine Kapsel unter der Haut eines Arms, die machte, dass sein Schweiß einen abstoßenden Einfluss auf Moskitos hatte. Der Geruch der Substanz hatte vermutlich keine schädliche Auswirkung auf die Schmetterlinge, aber er konnte ihr Verhalten beeinflussen, und selbst das geringste Risiko einer Kontamination konnte den Wert aller Untersuchungen seiner Eltern zunichte machen.
    Er stellte Madhusree ein paar Meter vor dem Eingang ab, worauf sie der Stimme ihrer Mutter entgegenwatschelte. Prabir lauschte, als der Tonfall höher wurde. »Wo bist du gewesen, mein Liebling? Wo bist du nur gewesen?« Madhusree antwortete mit einem unzusammenhängenden Monolog über den Wassermann. Prabir spitzte so lange die Ohren, bis er sich vergewissert hatte, dass er nicht verleumdet wurde; dann ging er und setzte sich auf die Bank vor seiner Hütte. Es war noch Vormittag, und auf dem Strand war es unangenehm heiß geworden, aber der größte Teil des Kampungs würde bis Mittag im Schatten bleiben. Prabir konnte sich noch gut an den Tag erinnern, als sie eingetroffen waren, vor fast drei Jahren, zusammen mit einem halben Dutzend Arbeiter von Kai Besar, die ihnen helfen sollten, einen geeigneten Platz zu roden und die vorgefertigten Hütten aufzubauen. Er wusste nicht genau, ob es scherzhaft gemeint war, als die Männer den Ring aus sechs Gebäuden mit einem Wort bezeichnet hatten, das ›Dorf‹ bedeutete. Jedenfalls hatte sich der Begriff gehalten.
    Ein vertrauter Lärm war vom Rand des Kampungs zu hören; ein Fruchttauben-Pärchen hatte sich auf dem Ast eines Muskatnussbaumes niedergelassen. Die blauweißen Vögel waren größer als Hühner und etwas stromlinienförmiger, aber immer noch recht plump, sodass es Prabir immer wieder erstaunte, dass sie tatsächlich fliegen konnten. Einer der Vögel streckte den auf komische Weise dehnbaren Schnabel und schloss ihn um eine Muskatnuss von der Größe einer kleinen Aprikose; der andere sah mit dümmlichem Ausdruck zu, gurrte und entfernte sich dann, um selbst nach etwas Essbarem zu suchen.
    Prabir hatte sich vorgenommen, sein Experiment zur Höhenmessung durchzuführen, sobald er von Madhusree befreit war, doch auf dem Rückweg vom Strand hatte er über einige Komplikationen nachgedacht. Zum einen war er sich nicht sicher, ob er einen Unterschied zwischen dem Ufer einer fernen Insel und einem Berg im Innern einer Insel erkennen würde, wenn diese Erhebung aufgrund ihrer Höhe über dem Horizont sichtbar wurde. Das wäre jedoch möglich, wenn er seinen Vater überreden konnte, ihm sein Fernglas zu überlassen. Aber es gab noch ein weiteres, viel schwerer wiegendes Problem. Durch atmosphärische Temperaturdifferenzen wurde das Licht gebrochen, sodass der Lichtstrahl, den er als eine Seite des pythagoreischen Dreiecks benutzen wollte, in Wirklichkeit leicht gekrümmt war. Es war derselbe Effekt, der die Sonne knapp über dem Horizont scheinbar anschwellen ließ. Natürlich hatte bestimmt schon irgendwer eine Methode entwickelt, wie sich dieser Einfluss berücksichtigen ließ, und es dürfte keine Schwierigkeit sein, die entsprechenden Gleichungen zu finden und sein Notepad damit zu programmieren. Doch selbst wenn er sämtliche Temperaturdaten fand, die er benötigte – sei es aus einem meteorologischen Modell der Region oder aus einem Satelliten-Thermaldiagramm –, würde er gar nicht richtig verstehen, was er tat. Er würde nur blind irgendwelchen Anweisungen folgen.
    Plötzlich hörte Prabir seinen Namen im Gemurmel, das aus der Schmetterlingshütte drang – aber nicht von Madhusree, die ihn kaum aussprechen konnte, sondern von seinem Vater. Er versuchte auf die folgenden Worte zu horchen, aber die Fruchttauben wollten keine Ruhe geben. Er suchte am Boden nach etwas, das er auf sie werfen konnte, doch dann gelangte er zur Erkenntnis, dass jeder Versuch, sie zu vertreiben, vermutlich in einem langwierigen und lautstarken Vorgang resultieren würde. Er stand auf und ging auf Zehenspitze zur
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