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Teranesia

Titel: Teranesia
Autoren: Greg Egan
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befanden sich bereits dunkelrote Seesterne, Schwämme und einsame Seeanemonen, die sich an Korallenbruchstücke klammerten. Dann entdeckte er ein konisches gelb und braun gefärbtes Schneckengehäuse, das so groß wie seine Faust war, und tauchte, um es aus der Nähe zu betrachten. Im Wasser wurde alles wieder verschwommen, und er musste mit dem Gesicht beinahe den Boden berühren, um zu erkennen, dass das Gehäuse bewohnt war. Er ärgerte die bleiche Molluske mit Luftblasen, und als sie sich vor ihm zurückzog, wich auch er verlegen zurück, indem er ein paar Schritte auf den Händen ging, bevor er sich wieder aufrichtete. Er leerte geräuschvoll seine Nasenhöhlen, die voller Meerwasser waren, und drückte dann die Zunge an seinen brennenden Gaumen. Es fühlte sich an, als hätte man ihm einen Schlauch durch die Nase eingeführt.
    Madhusree schwamm zwanzig Meter vor ihm. »He!«, rief er. Dann unterdrückte er seine Panik; er wollte ihr auf gar keinen Fall einen Schrecken einjagen. Er folgte ihr mit langen Schwimmzügen, hatte sie schon bald erreicht und beruhigte sich wieder. »Wollen wir umkehren, Maddy?«
    Sie antwortete nicht, aber auf ihrem Gesicht erschien ein unsicherer Ausdruck, als hätte sie plötzlich das Vertrauen in ihre Schwimmfähigkeit verloren. Prabir schätzte mit einem Blick die Tiefe ab; hier konnte er auf keinen Fall mehr stehen. Er konnte sie nicht einfach schnappen und ans Ufer zurückwaten, während er ignorierte, wie sie schrie und sich wehrte.
    Er schwamm neben ihr und versuchte sie in eine Kurve zu drängen, aber er hatte viel mehr Angst vor einem Zusammenstoß als sie. Wenn er sie einfach packte und herumwarf, wenn er ein Spiel daraus machte, würde sie vielleicht nicht protestieren. Er trat Wasser und streckte lächelnd die Arme nach ihr aus. Sie gab ein wimmerndes Geräusch von sich, als hätte er sie bedroht.
    »Ssscht. Keine Angst.« Mit leichter Verspätung hatte auch er verstanden; ihm ging es genauso, wenn er einen Bach auf einem Baumstamm überquerte oder sich auf sumpfigem Gelände bewegte und sein Vater oder seine Mutter ungeduldig wurden und ihn festhalten wollten. Es gab kaum etwas, das einen mehr verunsicherte. Er erstarrte nur dann vor Schreck, wenn jemand ihn beobachtete oder ihn zur Eile antrieb. Allein konnte er alles vollbringen, beiläufig und ohne große Konzentration – sogar hoch über dem Boden umkehren. Madhusree wusste, dass sie umkehren musste, aber das Manöver war zu abenteuerlich, um auch nur daran zu denken.
    Prabir rief erregt: »Schau nur! Draußen am Riff! Ein Wassermann!«
    Madhusree folgte unsicher seiner Blickrichtung.
    »Genau geradeaus. Wo die Wellen brechen.« Prabir stellte sich eine Gestalt vor, die sich aus der Brandung erhob und ein wenig Wasser von jedem Brecher stahl. »Das sind nur sein Kopf und seine Schulter, aber der Rest wird auch bald zu sehen sein. Schau, seine Arme kommen frei!« Prabir stellte sich feuchte, durchscheinende Arme vor, die sich aus dem Wasser erhoben, die Hände zu Fäusten geballt. »Ich habe ihn schon einmal gesehen, vom Strand aus«, flüsterte er. »Ich habe ihm eine seiner Muscheln gestohlen. Ich dachte, er würde es nicht bemerken… aber du weißt ja, wie sie sind. Wenn man ihnen etwas wegnimmt, finden sie einen immer.«
    Madhusree war völlig verwirrt. Prabir erklärte: »Ich kann sie ihm nicht zurückgeben. Ich habe sie nicht dabei; sie ist in meiner Hütte.«
    Einen Augenblick lang schien Madhusree einwenden zu wollen, dass das kein Hinderungsgrund war. Prabir konnte einfach versprechen, die Muschel später zurückzugeben. Doch dann kam ihr offenbar in den Sinn, das ein solches Geschöpf vermutlich nicht sehr geduldig und vertrauensvoll wäre.
    Ihre Miene hellte sich auf. Prabir war in Schwierigkeiten.
    Der Wassermann ließ die Arme sinken und stemmte sich gegen das Riff, um auch den Rest seines Körpers ins Dasein zu zwingen. Die Schmerzen der Geburt ließen ihn aufbrüllen und die glänzenden Zähne blecken.
    Prabir bewegte sich nervös im Kreis. »Ich muss von hier verschwinden, bevor er seine Beine freibekommt. Wenn man sieht, wie er losrennt, ist es zu spät. Niemand hat diesen Anblick überlebt, um ihn anschließend beschreiben zu können. Kannst du mich zurück ans Ufer führen? Mir den Weg zeigen? Ich kann nicht mehr denken. Ich kann mich nicht mehr bewegen. Ich habe zu viel Angst.«
    Inzwischen hatte Prabir sich so sehr in die Phantasie hineingesteigert, dass ihm die Zähne klapperten. Er hoffte nur,
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