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Taxi

Titel: Taxi
Autoren: Karen Duve
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genützt hätte?«
    »Na, wenn die höflich guten Morgen sagen, dann kann man denen doch auch antworten?«
    »Ja – wenn man so ein Schleimer ist wie du.«
13
    Ich stand an vierter Position am Bahnhof Mundsburg. Die vorbeifahrenden Autos spritzten Schneematsch in alle Richtungen. Lichter spiegelten sich im nassen Straßenbelag und in braunen Pfützen. Der Dezember war der beste Monat für Taxifahrer. Kälte, Dunkelheit, Regen, Schnee und dreckige Wege trieben einem die Fahrgäste nur so zu. Und dann die ganzen Weihnachtsfeiern. Die meisten fanden an einem Freitag statt, aber die Donnerstage und Sonnabende waren auch nicht schlecht. Ein Trupp Fahrgäste näherte sich dem Taxiposten. Ich wusste, dass es Fahrgäste waren. Ich erkannte es daran, wie sie sich leicht schräg auf den Posten zubewegten, wie sie auf halber Strecke stehen blieben und schon mal einen Teil der Verabschiedung erledigten. Sie würden nicht vorbeigehen. Wenn alle einstiegen, waren es Fahrgäste für mindestens drei Taxis. Ich wischte ein Loch in die beschlagene Seitenscheibe. Einer der Fahrgäste trug einen Kochtopf, und einer hatte einen eckigen Karton unter dem Arm, Bettwäsche vielleicht oder ein Kassettenrecorder – je nach dem, was das Produktsortiment der Firma hergegeben hatte. Bei vielen Weihnachtsfeiern wurde um Geschenke gewürfelt. Wer eine Sechs würfelte, durfte sich ein Geschenk nehmen. Bei der verschärften Variante im Niedriglohnbereich musste derjenige, der eine Eins würfelte, zur Strafe einen Schnaps trinken. Eine ältere Frau im braunen Mantel mühte sich, in das Taxi vor mir zu klettern. Sie war schon fast drin, da verlor sie das Gleichgewicht und musste sich an der Beifahrertür festklammern. Bei mir stieg ein Mann in einem Anzug und mit einer bunten Krawatte ein. Er war um die vierzig Jahre alt und hatte ein gieriges Gesicht. Das Leben schuldete ihm etwas. Vielleicht war er Abteilungsleiter. Abteilungsleiter in einem Supermarkt oder etwas Ähnlichem. Von der anderen Seite stieg eine Frau ein. Sie setzte sich direkt hinter den Fahrersitz, so dass ich sie nicht richtig sehen konnte. Beide hatten nur kleine Kartons dabei.
    »So, zuerst geht es nach Bramfeld«, sagte der Abteilungsleiter.
    »Aber wir müssen doch erst zu Ihnen«, sagte die Frau, »das liegt doch viel näher, das ist doch sonst ein Umweg …«
    »Nein, nein, kommt gar nicht in Frage. Wir fahren zuerst zu Ihnen, ich will doch sicher sein, dass Sie heil ankommen. Also nach Bramfeld, in die Ellernreihe …«
    Sie redeten über irgendwelche Einkäufe, die gleich Montag getätigt werden mussten, das heißt, er redete. Sie hatte mit den Einkäufen anscheinend überhaupt nichts zu tun.
    »Jetzt täte ein Kaffee gut«, sagte er, kurz bevor wir angekommen waren, und als die Frau nicht reagierte, fuhr er fort:
    »Na, Fräulein Witt, wie ist es – krieg ich denn noch einen Kaffee bei Ihnen?«
    »Ich, … nein, ich …, tut mir leid, aber ich bin sehr müde.«
    »Ach kommen Sie, ein Kaffee! Das dauert keine zehn Minuten.«
    »Ich bin wirklich sehr müde«, murmelte sie kaum hörbar.
    Sie wollte nicht, das war wirklich nicht schwer zu begreifen. Aber der Abteilungsleiter war ein hartnäckiger Kerl.
    »Na, na, Sie haben doch nicht etwa Angst vor mir?«
    »Oh, Gott, nein, natürlich nicht«, versicherte sie mit einem nervösen Lachen.
    »Na also, dann trinken wir jetzt noch schnell einen Kaffee zusammen.«
    Fräulein Witt gab auf. Der Abteilungsleiter stieg mit ihr aus. Reichte mir einen Zwanziger ohne auf Wechselgeld oder Quittung zu warten. Jetzt konnte ich die Frau sehen. Sie war sehr jung, keine achtzehn, und trug trotz der Kälte einen kurzen Rock. Fahrig suchte sie in ihrer Handtasche nach dem Hausschlüssel. Als sie ihn gefunden hatte und auf den Wohnblock zuging, hielt sie ihren Kopf weiterhin gesenkt.
    »Ah, einen Kaffee. Jetzt einen schönen Kaffee«, sagte der Abteilungsleiter.
14
    Weihnachten kam mit großen Trinkgeldern, und dann Silvester, der wichtigste Tag überhaupt für Taxifahrer. Rekordumsätze, zerplatzende Böller auf der Windschutzscheibe, ein Betrunkenenanteil von achtzig Prozent und totale Erschöpfung.
    Im Januar wurde direkt unter Dietrichs Wohnung eine andere Wohnung frei. Genauso geschnitten wie seine. Auch eine ehemalige Werkstatt, ein einziger Raum mit einer winzigen Toilette.
    »Nein«, sagte Dietrich, »ich glaube, das ist keine gute Idee. Wir kennen uns gerade erst ein paar Monate, und da willst du schon bei mir einziehen. Wenn du da unten
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