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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras
Autoren: Wolfgang Koeppen
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doch die Mark für den Banditen; sie flog ihnen zu, Vöglein auf dem Felde. Sie schwänzen die Gewerbeschule, da sie kein Gewerbe haben, oder doch Gewerbe, die man in der Schule nicht lernt, wohl an den Straßenecken, in den Torwegen der Dollarwechsler, den Gassen der Damen, den Alleen der Freunde im Schatten des Justizpalastes, das Gewerbe der flinken Hände, die nehmen und nicht geben, das Handwerk der festen Fäuste, die schlagen und fleddern, und die warme Tour, die Profession des weichen Blicks, der schwingenden Hüften, des wippenden Arsches. Wigger! ist in der Legion, übers Meer so weit, bei den Annamiten imBusch, Schlangen und Lianen, verfallene Tempel, oder bei den Franzosen im Fort, Mädchen und Wein in Saigon, Brodem der Unterkünfte, die Strafzelle in den Kasematten, Eidechsen in der Sonne. Gleichgültig. Wigger! kämpft. Er singt: weiter die Fahne hoch. Er fällt, SOLDATENTOD IST DER SCHÖNSTE TOD . So oft gehört, in der Kindheit eingeprägt, von Vätern und Brüdern vorgelebt, Tränentrost der Mutter, nie wird das Wort vergessen. Schorschi, Bene, Kare und Sepp warten auf den Trommler. Sie warten in der Dämmerung des Kinos. Der letzte Bandit. Sie sind bereit; bereit zu folgen, bereit zu kämpfen, bereit zu sterben. Es braucht kein Gott zu sein, der sie ruft, ein Plakat auf allen Mauern, eine grade gängige Larve, ein Bärtchen mit Markenschutz, kein lächelnder Augur, die Roboter-Maske aus gestanztem Blech, ein Gesicht unter dem Durchschnitt, kein Versprechen in den Augen, leere Wasser, geschliffene Spiegel, die immer nur dich zeigen, Caliban, von dem die Genien sich abwandten, der synthetische Rattenfänger, sein Ruf: Bewährung, Blut, Schmerzen und Tod, ich führe dich zu dir selbst, Caliban, du brauchst dich nicht zu schämen, ein Scheusal zu sein. Noch steht das Kino; in die Kasse strömt das Geld. Noch steht das Rathaus; die Lustbarkeitssteuer wird verbucht. Noch wächst die Stadt.
    Die Stadt wächst. Zuzugssperre aufgehoben. Sie strömen zurück, eine Flut, die verebbte, ins Land verrieselte, in die Bauernstuben, als die Städte brannten, als der Asphalt hin schmolz in der täglich durch schrittenen Gasse, stygisches Wasser wurde, ätzend und brennend, dort, wo die kleinen Schuhe zur Schule liefen, wo man als Braut und Bräutigam ging, die Steinheimat bebte, und dann hockten sie in den Dörfern, verloren der Hausrat, verloren das Nest, wo die Brut zur Welt kam, verloren das Immeraufbewahrte, das Was-du-warst, die in das unterste Fach des Schrankes verbannte Jugend, ein Kinderbild, die Schulklasse, der ertrunkene Freund, die verblaßte Schrift eines Briefes, Lebwohl-Fritz, Ade-Marie, ein Gedicht, war ich es, der es reimte? -
    Der kleine zierliche stramme Körper des Doktors lag, wohltrainiert in behenden leichtathletischen Übungen, auf dem mit Wachstuch bezogenen Tisch und aus einer Vene des Armes strömte sein Blut nicht sichtbar und nicht nah einem anderen Menschen zu, kein warmer Blick des mit neuem Lebensfluß Beschenkten dankte dem Spender, Doktor Beilüde war ein abstrakter Samariter, sein Blut verwandelte sich in eine Ziffer, eine chemische Formel, ausgedrückt durch die Zeichensprache der Mathematik, es strömte in ein Einmachglas, wurde mit einem Schild versehen, Himbeersaft, Erdbeermarmelade, die Blutgruppe stand auf dem Schild, der Saft wurde sterilisiert, und die Konserve konnte verschickt werden, irgendwohin, durch die Luft, über Ozeane weit, dahin, wo gerade ein Schlachtfeld war, und das fand sich immer, eine ursprünglich harmlose Landschaft, Natur mit dem Wechsel der Jahreszeiten, ein Acker mit Saat und Ernte, wohin nun Menschen marschiert, gereist und geflogen waren, um sich zu verwunden und zu töten. Da lagen sie blaß auf einer Feldbahre, der Wimpel des Roten Kreuzes flatterte im fremden Wind und erinnerte sie an die Unfallwagen, die mit Sirenenschwall durch die Straßen der verkehrsverstopften Städte eilen, der Städte, aus denen sie kamen, die Tetanusspritze brannte, und Doktor Behudes Blut wurde ihnen in den zerrissenen Leib gepumpt. Doktor Behude erhielt zehn Mark für die Blutentnahme. Bar wurde das Geld an der Kasse der Klinik ausgezahlt. Die jungen Ärzte, die schon die Soldaten des zweiten Weltkrieges aufgeschnitten, zersägt, bespritzt und zugenäht hatten und nun in unbezahlten Volontär- und Assistentenstellen erkennen mußten, daß sie überflüssig und zu viele waren, viel zuviel Kriegsmediziner, drängten sich, ihr Blut zu verkaufen, das einzige, was sie zu
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