Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras
Autoren: Wolfgang Koeppen
Vom Netzwerk:
Night-and-day-Welt, drängte die braune Hand vom Bügel des Koffers, drängte sich klein, bescheiden, standhaft, freundlich gegen den dunklen Riesen, King Kong, der ihn überragte, unergründlich sind die nie geschlagenen, die uralten Wälder. Josef blieb ungebannt von der Stimme, Stimme des breiten trägen und warmen Stromes, Stimme des Eingewobenseins, Stimme der heimlichen Nacht. Wie Holz auf dem Fluß glitt eins zum andern; Totemtiere um den Kral, ein Tabu um den Abtrünnigen des Stammes, Josef empfand weder Lust noch Unlust, nichts lockte und nichts schreckte ihn: kein libidinöses Verlangen, Odysseus stand in keinem Affektzusammenhang zu Josef, Josef war keine Maske des Ödipus für Odysseus, nicht Haß, nicht Liebe bewegten sie, Josef vermutete Freigebigkeit, er trieb heran, sacht und beharrlich, er sah eine Brotzeit, sah ein Bier Night-and-day -
    Der Papagei krächzte, ein Liebesvogel, Kama, der Gott der Liebe, reitet auf einem Papagei, die Erzählungen des Papageienbuches, phantastisch und obszön, die Minderjährige nahm sie aus dem Schrank des Vaters, versteckte sie unter dem Bett, der Papagei auf den alten Darstellungen der heiligen Familie, Symbol der unbefleckten Empfängnis, es war ein behäbiger Rosellapapagei, rundlich wie eine alte erfolgreiche Schauspielerin, rot, gelb, agavengrün, stahlblau sein Gefieder, das Kleid, das er grimmig schüttelte, die Freiheit war vergessen, war ein vergessener, schon nicht mehr wahrer Traum, der Vogel krächzte, nicht nach Freiheit krächzte er, jammerte nach Licht, nach dem Hochziehen der Jalousie, dem Beiseitestoßen der schweren Vorhänge, dem Zerreißen der Zimmerdunkelheit, dem Ende der künstlich verlängerten Nacht. Auch die Hunde und die Katzen wurden unruhig. Sie sprangen zu der Schlafenden ins Bett, zankten sich, zerrten an der zerschlissenen Seide der Decke, und Daunen wirbelten wie Schnee unsichtbar in der Dunkelheit durch den Raum. Emilia lag noch unter der Decke der Nacht, die draußen schon seit Stunden vergangen war. Ihr Bewußtsein war noch zugedeckt von der Nacht. Ihre Glieder lagen in der Tiefe der Nacht wie in einem Grab. Die rosa Zunge des schwarzen Katers leckte das Ohr der jungen Toten. Emilia regte sich, schlug um sich, wälzte sich vom Bauch auf den Rücken, tastete über den knisternden Pelz der Katze, faßte den Kopf eines Hundes, röchelte »was ist los, was ist denn schon wieder?«, wo kam sie her? aus welchen dunkelen Abgründen des Schlafs? Sie hörte das ewige Säuseln in den Röhren des Hauses, das Bröckeln des Verputzes, das Schnauben, Knurren, Tappen und Schweifschlagen der Tiere. Die Tiere waren ihre Freunde, die Tiere waren ihre Gefährten, sie waren die Gefährten der glücklichen Kindheit, aus der Emilia nun vertrieben war, sie waren die Genossen der Einsamkeit, in der Emilia lebte, sie waren Spiel und Freude, sie waren harmlos, hingebungsvoll und dem Augenblick ergeben, sie waren die harmlose und demAugenblick ergebene Kreatur ohne Falschheit und Berechnung, und sie kannten nur die gute Emilia, eine Emilia, die zu den Tieren wirklich gut war. Die böse Emilia wandte sich gegen die Menschen. Sie fuhr hoch und rief: »Philipp!« Sie lauschte, die Züge ihres Gesichtes zwischen Weinen und Erbitterung. Philipp hatte sie verlassen! Sie knipste die Bettlampe an, sprang auf, rannte nackt durch das Zimmer, drehte den Schalter für das Deckenlicht, silberne Kerzenbirnen, die sich in grünspanbedeckten Mispelzweigen wiegten, Wandarme entflammten, Licht, das sich in Spiegeln wiederholte, vervielfachte und von Lichtschirmen gefärbt, gelb und rötlich, wie gelbe und rötliche Schatten auf die Haut der Frau fiel, auf ihren fast noch kindlichen Leib, die hohen Beine, die kleinen Brüste, die schmalen Hüften, den glatten elastischen Bauch. Sie lief in Philipps Zimmer, und das natürliche Licht des trüben Tages, das hier durch das unverhüllte Fenster drang, ließ ihre hübsche Gestalt plötzlich erbleichen. Die Augen glänzten krank, lagen unter Schatten, das linke Lid hing herab, als wäre es aller Spannkraft beraubt, die kleine eigensinnige Stirn war gefurcht, Schmutzteilchen staken in der Haut, die schwarzen Haare baumelten in kurzen Zotteln ins Gesicht. Sie betrachtete den Tisch mit der Schreibmaschine, das weiße unbeschriebene Papier, die Requisiten der Arbeit, die sie verabscheute und von der sie sich Wunder versprach, Ruhm, Reichtum, Sicherheit, über Nacht gewonnen, in einer Rauschnacht, in der Philipp ein bedeutendes Werk
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher