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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras
Autoren: Wolfgang Koeppen
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Zimmer: ein Kleeblatt entfaltete sich über Philipp und entwischte. Unter dem Fenster schimpften Spieler, die ihr Geld verloren hatten. Betrunkene torkelten aus dem Bräuhaus. Sie pißten gegen die Häuser und sangen die-Infanterie-die-Infanterie, verabschiedete, geschlagene Eroberer. Auf den Stiegen des Hauses war ein fortwährendes Kommen und Gehen. Das Hotel war ein Bienenstock des Teufels, und jedermann in dieser Hölle schien zur Schlaflosigkeit verdammt. Hinter den windigen Wänden wurde gejohlt, gerülpst und Dreck weggespült. Später war der Mond durch die Wolken gebrochen, die sanfte Lima, die Leichenstarre.
Der Wirt fragte ihn: »Bleiben Sie noch?« Er fragte es grob, und seine kalten Augen, todbitter im glatten ranzigen Fett befriedigter Freßlust, gesättigten Durstes, im Ehebett sauer gewordener Geilheit, blickten Philipp mißtrauisch an. Philipp war am Abend ohne Gepäck in das Hotel gekommen. Es hatte geregnet. Sein Schirm war naß gewesen, und außer dem Schirm hatte er nichts bei sich gehabt. Würde er noch bleiben? Er wußte es nicht. Er sagte: »Ja, ja.« »Ich zahle für zwei Tage«, sagte er. Die kalten, todbitteren Augen ließen ihn los. »Sie wohnen hier in der Fuchsstraße«, sagte der Wirt. Er betrachtete Philipps Meldezettel. ›Was geht es ihn an‹, dachte Philipp, ›was geht es ihn an wenn er sein Geld bekommt.‹ Er sagte: »Meine Wohnung wird geweißt.« Es war eine lächerliche Ausrede, jeder mußte merken, daß es eine Ausrede war. ›Er wird denken ich verstecke mich, er wird sich genau denken was los ist, er wird denken daß man mich sucht.‹
Es regnete nicht mehr. Philipp trat aus der Bräuhausgasse auf den Böttcher platz. Er zögerte vor dem Haupteingang des Bräuhauses, am Morgen einem geschlossenen Schlund, aus dem es nach Erbrochenem dunstete. Auf der anderen Seite des Platzes lag das Café Schön, der Club der amerikanischen Negersoldaten. Die Vorhänge hinter den großen Spiegelfenstern waren zur Seite gezogen. Die Stühle standen auf den Tischen. Zwei Frauen spülten den Unrat der Nacht auf die Straße. Zwei alte Männer kehrten den Platz. Sie wirbelten Bierdeckel, Luftschlangen, Narrenkappen der Trinker, zerknüllte Zigarettenpackungen, geplatzte Gummiballons auf. Es war eine schmutzige Flut, die mit jedemBesenstoß der Männer Philipp näher rückte. Hauch und Staub der Nacht, der schale tote Abfall der Lust hüllten Philipp ein.
    Frau Behrend hatte es sich gemütlich gemacht. Ein Scheit prasselte im Ofen. Die Tochter der Hausbesorgerin brachte die Milch. Die Tochter war unausgeschlafen und hungrig. Sie war hungrig nach dem Leben, wie es ihr Filme zeigten, sie war eine verwunschene Prinzessin, zu niederem Dienst gezwungen. Sie erwartete den Messias, die Hupe des Erlöserprinzen, den Millionärssohn im Sportwagen, den Fracktänzer der Cocktail-Bar, das technische Genie, den vorausschauenden Konstrukteur, den Knock-out-Sieger über die Zurückgebliebenen, die Feinde des Fortschritts, jung-Siegfried. Sie war schmalbrüstig, hatte rachitische Gelenke, eine Bauchnarbe und einen verkniffenen Mund. Sie fühlte sich ausgenutzt. Ihr verkniffener Mund flüsterte: »Die Milch, Frau Obermusikmeister.«
Geflüstert oder gerufen: die Anrede zauberte das Bild schöner Tage. Aufrecht schritt der Musikmeister an der Spitze des Regiments durch die Stadt. Aus Fell und Blech dröhnte der Marsch. Schellen rasselten. Die Fahne hoch. Die Beine hoch. Die Arme hoch. Herrn Behrends Muskeln stemmten sich gegen das Tuch der engen Uniform. Die Platzmusik im Waldpavillon! Der Meister dirigierte den Freischütz. Unter dem Befehl seines ausgestreckten Stabes stiegen Carl Maria von Webers romantische Klänge pianissimo gedämpft in die Wipfel der Bäume. Frau Behrends Brust hob und senkte sich den Wogen des Meeres gleich am Gartentisch der Wirtschaft. Ihre Hände ruhten in Filethandschuhen auf dem buntgewürfelten Leinen der Kaffeetafel. Für diese Stunde der Kunst sah sich Frau Behrend aufgenommen in den Kreis der Damen des Regiments. Leier und Schwert, Orpheus und Mars verbrüderten sich. Frau Major bot liebenswürdig das Mitgebrachte an, das Selbstgebackene, die Schichttorte aus dreierlei Mus, in den Ofen geschoben, während der Majorauf dem Pferde saß, den Kasernenhof kommandierte, das Auf-marsch-marsch, und dazu die Paukenwirbel der Wolfsschlucht.
Konnten sie uns nicht in Frieden lassen? Frau Behrend hatte den Krieg nicht gewollt. Der Krieg verseuchte die Männer. Beethovens Totenmaske musterte
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