Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Taqwacore

Taqwacore

Titel: Taqwacore
Autoren: M Knight
Vom Netzwerk:
gesprungen war, um eine Coverversion von »Nazi Girlfriend« von den Stooges zum Besten zu geben; durch ihren Niquab sang sie langsam und geisterhaft in Iggy Pops morbider Altmännerstimme: » I want to fuck you on the floor, among my books of ancient lore« – dasselbe Mädchen, das an Freitagen vor unserem mit dem Baseballschläger in die Wand gehauenen Mihrab stand, um die Khutba zu sprechen, und das selbst verfasste Schimpftiraden über den Sexismus beider Kulturen in dem von ihr herausgegebenen Fanzine Ayesha’s Hymen verbreitete.
    Ich ging durch den Flur zurück ins Wohnzimmer. Bemerkte den Pizzakarton, der als Gebetsteppich gedient hatte – der betende Junge war verschwunden, und der Himmel draußen hinter den Fenstern war gerade hell genug, um das verdreckte und heruntergekommene Zimmer inklusive der Zombies auf den Sofas deutlich ausmachen zu können. Die Wände, die diese Szenerie umschlossen, waren bedeckt mit Punkpostern, 22 x 28 cm großen Flyern für lokale Konzerte, Flecken, Kratzern, und um die eingeschlagene Mihrab-Nische herum hingen diverse Tafeln und Poster mit arabischer Kalligrafie: Koranverse, die 99 Namen Allahs, eine grüne saudische Flagge, auf die das Anarchie-Zeichen mit schwarzer Farbe aufgesprüht worden war, und so weiter – alles war in das graue Licht getaucht, das kurz vor Sonnenaufgang herrscht und einem in den Augen schmerzt; dieses letzte Aufbäumen der Nacht, bevor sie dem neuen Tag weicht und McDonald ’ s sich für die Rentner mit ihren Kaffees und Zeitungen bereit macht. Hieß das eigentlich, die Sonne war schon aufgegangen? War es zu spät für Fadschr? Ich hatte vergessen, wie das alles lief.
    Am Nachmittag kam ich zurück und ließ mich in einen muffigen, verbeulten Sessel auf der Veranda fallen. Meine schlaff herunterhängende rechte Hand berührte eine leere Flasche, die neben dem Sessel stand. Ich fragte mich, in welcher Stimmung Umar wohl sein würde, war aber zu müde, um darüber nachzudenken. Auf dem Geländer lag eine Packung Zigaretten. Meine Augenlider sanken wie von selbst herab; ich war dabei einzunicken. Dann schmetterte plötzlich »Hey Little Rich Boy« von Sham 69 aus dem Haus, was bedeutete, jemand hatte bemerkt, dass ich da war. Es war der übliche tägliche Witz, man konnte sich darauf verlassen wie auf den mittäglichen Adhan in der al-Haram-Moschee in Mekka.
    Die Fliegengittertür schwang auf und heraus stürzte Amazing Ayyub, der klapperdürre iranische Junkie in knallengen Jeans, ohne T -Shirt, mit seinem riesigen » KERBELA «-Tattoo in altenglischer Schrift direkt unterhalb seines Schlüsselbeins, er tanzte wie ein glatzköpfiger Irrer auf der Veranda herum und grölte dabei:
    » HEY LITTLE RICH BOY ! TAKE A GOOD LOOK AT ME ! HEY LITTLE RICH BOY  …«
    »Ich will dich nicht ansehen«, antwortete ich. »Ich will eine Woche lang tot sein und dann bin ich wieder okay, Inschallah.« Amazing Ayyub stampfte weiter herum und reckte seine Fäuste in die Luft.
    » HEY LITTLE RICH BOY ! TAKE A GOOD LOOK AT ME !«
    Ich schloss die Augen und wartete darauf, dass der Song endlich zu Ende war. Amazing Ayyub ging ins Haus.
    Dann fing der Song wieder von vorne an.
    »Mann, Ayyub!« Er flog wieder nach draußen, als würde er herauskatapultiert, und trampelte noch eine Runde auf der Veranda herum.
    » HEY LITTLE RICH BOY ! TAKE A GOOD LOOK AT ME ! HEY LITTLE RICH BOY ! TAKE A GOOD LOOK AT ME !«
    »Alhamdulillah, Ayyub. Bitte, Mann, komm schon – meine Augen sind …«
    » HEY LITTLE RICH BOY ! TAKE A GOOD LOOK AT ME ! HEY LITTLE RICH BOY ! TAKE A GOOD LOOK AT ME !«
    Nachdem er sein Statement deutlich genug gemacht hatte, ging er wieder rein.
    Ich hatte die Veranda jetzt für mich und driftete durch verschiedene Bewusstseinszustände; meine Müdigkeit hatte das Stadium erreicht, in dem man nicht mehr weiß, ob man wirklich eingeschlafen war, sich aber an etwas, das vor fünf Minuten passiert ist, nicht erinnern kann, also geschlafen haben muss.
    Der vertraute Refrain Don’t drink / Don’t smoke / Don’t fuck aus »Out of Step« von Minor Threat kam in Kakophonien um die Ecke, begleitet vom Knistern und Rauschen der überlasteten Lautsprecher. Ich wusste, wenn ich mich dazu aufraffen könnte, mich umzudrehen, hätte ich einen beeindruckend abgewrackten Pick-up erblickt, dessen Heckklappe mit Aufklebern diverser Bands versehen war, inklusive eines grünen, auf dem stand: » ISLAM ist der Weg.« Umar hielt vor dem Haus und sprang in voller
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher