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Taqwacore

Taqwacore

Titel: Taqwacore
Autoren: M Knight
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den Islam zu definieren. Sie unterscheiden sich nicht so sehr, wie man denken würde. Am Anfang standen bei beiden enorme Ausbrüche von Wahrheit und Vitalität, aber mittlerweile scheint einiges davon verloren gegangen zu sein – vielleicht die Energie, die aus der Gewissheit herrührt, dass die Welt noch nie eine solche positive Kraft und Wut gesehen hat und auch nie mehr sehen wird. Beide haben unter Verrat und Heuchelei gelitten, aber auch unter den wahren Gläubigen, deren Ergebenheit ihren kreativen Impetus behindert hat. Beide erscheinen von außen als einheitliche, zusammenhängende Gemeinden, während die Wirklichkeit ganz anders aussieht.
    Ich könnte so weitermachen, doch die wichtigste Gemeinsamkeit besteht darin, dass der Islam, so wie der Punk, an sich ein Banner ist, ein offenes Symbol, das keine Dinge repräsentiert, sondern Ideen . Man kann den Punk oder den Islam nicht anfassen. Was könnten sie also anderes bedeuten als das, was man ihnen selber an Bedeutung zumisst?
    Ich tastete mich im Dunklen vorwärts, bis ich die Küche fand, damit der betende Junge meine Anwesenheit nicht bemerkte. Ich machte das Licht an, und es sah aus, als hätte George W . Bush auf der Suche nach Bösewichtern hier Bomben abgeworfen. Ich schlängelte mich durch einen Parcours aus umgeworfenen Stühlen, leeren Flaschen und anderem Müll um den Tisch herum, bis ich den Kühlschrank erreichte. Er war völlig leer, bis auf einen Karton vom Chinesen – von undefinierbarem Inhalt und Alter, Allahu Alim – und einen Kasten Bier. Bier war immer da.
    »Salam aleikum«, sagte eine Mädchenstimme hinter mir. Ich drehte mich um und erblickte eine sackartig verhüllte Ninja, deren wallende Burka mit den Aufnähern diverser Bands verziert war. Ihre Augen waren hinter dem Stoffgitter nicht zu sehen, doch mein Blick war sowieso auf den schmierigen Küchenfußboden gerichtet.
    »Wa aleikum assalam«, antwortete ich, »wa Rahmatullahi wa barakatuh. Ich wollte mir nur schnell was zu trinken holen.«
    »Es ist noch jede Menge da.«
    »Ich wollte eigentlich irgendwas, das halal ist.«
    »Ach so, halal. Da musst du hier vorsichtig sein.« Sie bahnte sich einen Weg um den Tisch herum, ergriff ein schmutziges Glas, wusch es in der Spüle aus, füllte Wasser hinein und gab es mir.
    »Jazakallah khair«, sagte ich. Sie griff nach dem Stuhl, über den ich geklettert war, stellte ihn auf und setzte sich hin.
    »Setz dich doch.«
    »Ach, eigentlich muss ich mich langsam fertig machen, in ein paar Stunden geht die Uni los.«
    »Okay«, lachte sie. »Jedes Mal, wenn ein Mann und eine Frau alleine sind, ist Scheitan der Dritte im Bunde.«
    »Ja – ich meine, nein, das ist es nicht, nur weiß ich nicht, ob Umar …«
    »Umar hat sich selbst in einen Nüchternheitsrausch versetzt, mach dir mal keine Sorgen. Er wird gegen Mittag aufwachen, angepisst sein, dass er Fadschr verpasst hat, und auf die Glotze einschlagen.«
    »Wenn es nur der Fernseher ist«, antwortete ich und starrte auf das Gitter, wo ihre Augen sein müssten, »dann ist es eine deutliche Verbesserung zu gestern Nacht.«
    »Ich dachte, er bringt den Jungen um. Scheiß Machoärsche.« Rabeyas Ausdrucksweise oder vielmehr die Tatsache, dass ausgerechnet sie so redete, irritierte mich noch immer. Und sie wusste das.
    »Hey, hast du Fadschr gebetet? Ich noch nicht, und ich glaube, die Sonne ist noch nicht aufgegangen, also …«
    »Sorry, Yakhi, ich lass es heute ausfallen.«
    »Aha.« Ich sah auf meine Füße. Wa’Allah, war der Fußboden dreckig. »Tja, ich glaube, ich fang dann mal an.« Ich ging zur Spüle rüber, zog zuerst meine Schuhe aus, und dann, während ich auf meinen Schuhen stand, meine Socken, rollte meine Ärmel auf und verrichtete Wudu, während das Wasser über die leeren grünen Heineken-Flaschen in der Spüle floss. Rabeya saß zufrieden da und genoss es, dass keine meiner erprobten Strategien für die Kommunikation mit dem weiblichen Geschlecht, egal ob gläubig oder ungläubig, mir irgendwie dabei helfen konnten, mit dieser Situation klarzukommen.
    Niemals sahen wir ihr Gesicht, und ich glaube, dass das Rabeya eine gewisse psychologische Macht über uns verlieh. Allerdings stand nicht alles, was sie aus diesem Vorteil machte, unbedingt im Einklang mit der Tradition. Obwohl Rabeya eine ebenso überzeugte Muslima war wie jeder andere hier, lebte sie den Islam, wie sie es für richtig hielt. Bei der gestrigen Party war sie es, die völlig verschleiert ans Mikrofon
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