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Tanz der Engel

Tanz der Engel

Titel: Tanz der Engel
Autoren: Jessica Itterheim , Diana
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mir nicht dazwischenfunken konnten, wenn ich Raffael überredete , für immer zu verschwinden.
    Da Raffael unter der Woche schon zwei Tage freigenommen hatte, war ich nicht darauf vorbereitet, dass auch er die Schule verlassen würde. Doch letztendlich war es gut so. Mein Plan, ihm Christopher vorzustellen, wäre eh nicht aufgegangen. Allein – mit viel zu viel Zeit zum Grübeln – verbrachte ich ein trostloses Wochenende.
    Als Raffael unerwartet früh am Sonntagmittag die Kantine betrat, nutzte ich die wenige Zeit, die mir noch blieb, bis meine Freunde wieder eintrudelten. Mit einem versöhnlichen Lächeln – das mir ziemlich schwerfiel – setzte ich mich zu ihm. Ich wollte keine weitere Minute damit verbringen, mir auszumalen, was er wusste und ich nicht.
    »Du bist mir noch eine Erklärung schuldig«, begann ich.
    Raffael zog fragend eine Augenbraue nach oben. »Tatsächlich? Worüber denn?«
    »Wenn du schon behauptest, besser informiert zu sein als ich, wüsste ich gern, was du damit meinst.«
    Raffael blickte sich in der Kantine um. »Nicht hier«, raunte er.
    Sein argwöhnisches Verhalten verunsicherte mich. Außer uns war nur eine Handvoll Schüler anwesend, und die saßen weit genug entfernt, um uns nicht belauschen zu können. Trotzdem schlang ich mein Essen mit atemberaubender Geschwindigkeit hinunter. Mein Wissensdurst war größer als meine Bedenken.
    »Dann leg mal los«, forderte ich ihn auf, als wir die Mensa verließen.
    Raffael schwieg. Ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen, schlug er den Weg zu der alten Steinmauer ein, die das erhöht gelegene Schlossgelände vom Seeufer trennte. Ich folgte ihm nur widerwillig – seine Geheimniskrämerei jagte mir allmählich Angst ein. Und auch die Rastlosigkeit, mit der er den See betrachtete, während wir das Gemäuer umrundeten. Erst als er sicher war, unbeobachtet zu sein, wandte er sich an mich.
    »Und? Was willst du wissen?«
    »Alles!«, platzte ich heraus.
    »Das übersteigt meine Kenntnisse. Da musst du schon deinen Engelsfreund fragen«, antwortete er zynisch.
    Ich presste meine Lippen zusammen und starrte über die spiegelnde Oberfläche des harmlos scheinenden Sees.
    Raffael deutete meine Reaktion richtig. »Du weißt wohl nicht, wo er steckt?! Das geht den meisten so.«
    »Was … wen meinst du?« Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich war nicht die Einzige?
    Raffael lehnte sich mit dem Rücken gegen die Steinwand. »Er hat dir also nicht verraten, welchen Vorteil Engel daraus ziehen, wenn sie sich an einen Menschen binden. Hat er dir deinen Lebenssaft entlockt, indem er behauptet hat, nur für dich da zu sein?«
    Meine Beine drohten wegzuknicken. War Christophers Versprechen bloß ein Mittel zum Zweck? Hatte er mir seine Liebe nur vorgegaukelt? Dann wäre er keinen Deut besser als Sanctifer.Ich kämpfte gegen den Abgrund an, der mich verschlingen wollte. Christopher hatte mich belogen?!
    Zwei Hände umfassten meine Arme und schüttelten mich.
    »Lynn! Lass nicht zu, dass er dir weh tut!«
    Raffaels Berührung holte mich aus meiner Verzweiflung. Ich durfte ihm nicht glauben. Er war ein Flüsterer: fähig, Menschen zu beeinflussen. Verbissen versuchte ich, mich aus seiner Umklammerung zu befreien, doch Raffael hielt mich umso fester.
    »Bitte, Lynn, vertrau mir.«
    »Dir? Wie könnte ich?!«
    »Nur dieses eine Mal – ich … konnte nicht anders.«
    Es war das Flehen in seiner Stimme, das mich innehalten ließ.
    »Aber bloß, wenn du deine Finger von mir nimmst!«, antwortete ich eisig – nicht dass er dachte, er könne mich mit seiner Mitleidstour weichklopfen.
    Raffael zog seine Hände weg, als hätte er sich an mir verbrannt. In seinen Augen lag eine Dankbarkeit, die mich bestürzte. Schnell trat ich einen Schritt zurück, um mich vor einem weiteren Übergriff in Sicherheit zu bringen. Der Funke von Dankbarkeit erlosch und hinterließ einen unguten Nachgeschmack.
    Raffael warf einen weiteren gehetzten Blick über den See. Mehrfach strich er seine perfekt gewellten, schulterlangen Haare in den Nacken, bevor er sich zur Ruhe zwang und auf den mit Gras bewachsenen Streifen vor der Mauer niederließ.
    »Nimm Platz, es wird eine Weile dauern.«
    Ich folgte Raffaels Aufforderung und setzte mich – mit genügend Abstand – neben ihm ins Gras. Auch ich starrte auf das im Wind wogende Schilf am Ufer des Sees, damit er in meinem Gesicht nicht lesen konnte, wie verunsichert ich mich fühlte. Es war Zeit, mehr über Engel und ihre Eigenarten zu
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