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Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas
Autoren: Ka Hancock
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»Lily?«
    »Lass mir nur einen Moment Zeit«, flüsterte sie erstickt. Sie nahm Abby nicht aus der Babyschale, sondern zog nur eine der Decken fort. Ich blieb eisern auf der anderen Seite des Raumes stehen und wagte nicht, Lily noch einmal zu fragen, was sie da tat, aber lieber Himmel, was war hier los? Lily blickte zu mir auf, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    »Mickey, ich …«
    Ich ging zum Sofa. »Lily, was hast du? Was tust du hier?«
    Sie zog sich den Hut vom Kopf und fuhr sich mit der Hand über das kurze Haar. »Setz dich.«
    Das tat ich mit einem hastigen Blick auf mein schlafendes Kind. »Lil, willst du nicht erst deinen Mantel ablegen?«
    »Nein. Ich bleibe nicht lange.«
    »Okay …«
    Lil wandte sich mir zu und ergriff meine Hände mit eiskalten Fingern. »Mickey …«
    Sie atmete tief durch. »Mickey.«
    »Lily, du machst mir Angst.«
    Sie schüttelte den Kopf und blickte zu Boden. »Ich weiß.« Sie holte noch einmal tief Luft. »Also gut.« Sie nickte. »Mickey, ich habe dich in den letzten fünf Wochen beobachtet wie einen Käfer unter dem Mikroskop. Und anfangs war es für mich gar keine Frage, dass ich in Bezug auf die Kleine die beste Wahl bin.« Sie ließ meine Hände los, um sich die Tränen vom Gesicht zu wischen. »Aber dann, verdammt noch mal, kamst du wieder zurückgekrochen von wo auch immer du warst. Genau wie Lucy es vorhergesehen hat. Und ich dachte: ›Na und? Er ist immer noch zu krank und instabil.‹ Aber das stimmte nicht. Ich dachte, wenn ich nur gründlich genug suche, würde ich einen Grund finden – ein einziger hätte mir genügt –, weshalb du deine Tochter nicht bei dir haben solltest. Wenn ich ihn fände, würde ich glücklich leben bis ans Ende meiner Tage, als ihre Mutter.«
    »Lily …«
    »Psst. Ich bin noch nicht fertig. Ich habe mir alle Mühe gegeben, irgendeinen schrecklichen Beweis dafür zu finden, dass du als Vater untauglich bist. Ich schäme mich so für mich selbst, Mickey. Und es tut mir furchtbar leid.« Lily sah mich mit weichem, schmerzerfülltem Blick an. »Aber ich habe nicht einen einzigen Grund gefunden, weshalb du sie nicht haben solltest, Mic. Abby gehört zu dir. Das weiß ich aus tiefstem Herzen. Und egal, wie sehnlich ich sie mir wünsche, sie gehört hierher.«
    »Lily, ich verstehe dich nicht.«
    »O doch. Du wirst ein wunderbarer Vater sein.«
    »Nein. Nein!« Ich sprang auf. »Was soll das?«
    Lily nahm meine Hand und zog mich neben sich aufs Sofa. Mit plötzlich ruhiger Stimme sagte sie: »Ich liebe dieses Baby mit jeder Faser meines Herzens, aber sie ist nicht meine Tochter, und wenn ich sie behalten würde, müsste ich immer daran denken, dass ich dich betrogen habe. Schlimmer noch, dass ich meine Schwester betrogen habe. Lucy wollte, dass sie hier bei dir lebt. Das ist alles, was sie je wollte.«
    Mein Herz hämmerte, und es dauerte einen Moment, bis ich die Sprache wiederfand. »Lily, nein. Du irrst dich.«
    »Ich würde mich nur zu gern irren, glaube mir, Mickey. Aber ich irre mich nicht.« Lily griff seitlich in die Babyschale und holte ein Blatt Papier heraus, das in zwei Hälften gerissen war. »Das ist für dich«, sagte sie und riss es noch einmal mittendurch, ehe sie es mir gab.
    Es war die letzte Seite unserer ellenlangen Adoptionsvereinbarung, die Seite mit all den Unterschriften. Ich sah Lily an. »Das ist dein Ernst?«
    Sie nickte und zeigte auf die Papierfetzen. »Dabei ging es um Zuständigkeiten, um Rechte, aber Abby war immer dein Kind. Sie gehört zu dir. Ron und ich sind keine zwei Minuten weit entfernt, und wir werden dich immer – immer – unterstützen, wenn du uns brauchst.«
    »Aber was, wenn ich krank werde?«
    Da schlang Lily die Arme um mich, und ich glaubte, mein Herz würde jeden Moment meinen Brustkorb sprengen. »Mickey, ich stehe vierundzwanzig Stunden am Tag auf Abruf zur Verfügung, für den Rest meines Lebens. Wenn wir alle zusammenhalten, wird es Abby ganz prächtig gehen. Wir bekommen das hin.«
    »Lily …«
    Sie stand auf und ging zu der Tasche. »Da sind nur ein paar ihrer Sachen drin. Etwa ein Dutzend Windeln – ich bringe dir morgen mehr. Und drei Fläschchen habe ich schon vorbereitet, du brauchst nur das Wasser dazuzugeben. Eine Dose Babymilchpulver ist auch drin. Ich habe ihr gerade ein Fläschchen gegeben, also dürfte sie sich erst gegen halb drei wieder melden.« Dann wurde Lily still, während sie etwas aus der Tasche nahm und sich an die Brust drückte. Es war der
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