Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tante Dimity und der verhaengnisvolle Brief

Tante Dimity und der verhaengnisvolle Brief

Titel: Tante Dimity und der verhaengnisvolle Brief
Autoren: Nancy Atherton
Vom Netzwerk:
müssen.
    Heute aber fluteten nur Regenschlieren an den Scheiben hinunter, sodass ich Kenneths Gesicht recht deutlich erkennen konnte.
    Joanna Quinn hatte ihn treffend beschrieben.
    Kenneth war in jeder Hinsicht unauffällig – weder groß noch klein, weder breit noch schmal, das runde Gesicht so nichtssagend wie Vanillepudding.
    Ein paar graue Strähnen hatten sich in sein braunes Haar geschlichen, aber nicht genug, um ihn markant erscheinen zu lassen, und obwohl sein schwarzer Nadelstreifenanzug gut geschnitten war, verlieh er ihm nichts Würdevolles. So intensiv ich ihn auch studierte, ich vermochte in seinen haselnussbraunen Augen keinen Schimmer von dem Licht zu entdecken, das mich bei Miss Beacham so angezogen hatte. Er kam mir vor wie die personifizierte Biederkeit.
    »Kenneth?«, fragte ich.
    Er reichte mir die Hand. »Kenneth Fletcher-Beauchamps von Fletcher Securities.« Auf seinem Tisch stand zwar ein leeres Whiskeyglas, aber er wirkte nicht angetrunken. Seine Sprechweise war knapp und präzise, auch wenn die Stimme – ähnlich wie seine Züge – von der Sorte war, dass man sie gleich wieder vergaß. »Sie müssen Ms Shepherd sein. Ihre persönliche Assistentin hat mit der meinen gesprochen. Möchten Sie nicht Platz nehmen?«
    Ich stellte Gabriel vor, und wir ließen uns in den geschmackvoll zu einer Dreiergruppe arrangierten Sesseln nieder. Die Segeltuchtasche stellte ich zwischen meinen Füßen auf den Boden, und auf einmal wusste ich nicht mehr, was ich als Nächstes sagen sollte. Mein Mund fühlte sich unerklärlich trocken an.
    Es war eine surreale Situation, einem Mann ins Gesicht zu sehen, der mich die ganze Zeit in meiner Fantasie verfolgt hatte, aber das war es nicht, was mich hemmte.
    Noch nie hatte ich einem nächsten Angehörigen die traurigste aller Nachrichten überbringen müssen, und auch wenn ich die angemessenen Worte eingeübt hatte, war ich mir jetzt nicht mehr sicher, ob ich sie über die Lippen bringen würde.
    »Es freut mich sehr, dass Sie so weit rausgefahren sind, um mit mir zu sprechen«, begann Kenneth. »Das hier mag eine unkonventionelle Umgebung für ein geschäftliches Treffen sein, aber selbst an einem verregneten Tag ist es weit angenehmer als mein Büro.« Er winkte den Barmann herbei.
    »Kann ich Ihnen etwas anbieten?«
    Wir bestellten eine Runde einfachen Maltwhiskey. Normalerweise trank ich keinen Schnaps, aber jetzt abzulehnen wäre mir allzu schroff erschienen. Außerdem flüsterte mir eine innere Stimme zu, dass ich einen oder zwei Schlucke zur Stärkung brauchen würde, um diesen Vormittag durchzustehen.
    Der Barmann brachte uns die Drinks und kehrte sofort an seinen Posten zurück. Kenneth trank auf unser Wohl, setzte sein Glas ab und lehnte sich in seinem Sessel zurück, wobei er mit den Fingern über seine dezent gestreifte Weste strich. »Nun, da wir die Regeln der Etikette eingehalten haben, möchten wir doch sicher zur Sache kommen, einverstanden? Mir ist bewusst, dass Ihre Zeit knapp und kostbar ist. Womit kann ich Ihnen dienen?«
    »Ich bin nicht gekommen, um mit Ihnen Geldanlagen zu erörtern«, erklärte ich. »Ich … ich wollte Ihnen sagen …« Ich drehte die Finger auf meinem Schoß und senkte den Blick.
    »Ja?«, fragte Kenneth. »Worüber wollten Sie mit mir sprechen?«
    Ich musste mich zwingen, mich seinem Blick zu stellen. »Es tut mir sehr leid, Kenneth, aber Ihre Schwester ist am Montag letzte Woche gestorben.«
    Seine Augen verengten sich, und seine Lippen öffneten sich leicht. »Lizzie?«, fragte er matt. »Lizzie … tot? «
    »Es tut mir sehr leid.«
    Kenneths Brust hob und senkte sich einmal. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, dann legte er den Kopf zurück. Wütend starrte er mich an.
    »Wer sind Sie?«, fuhr er mich an. »Wer hat Ihnen von meiner Schwester erzählt?«
    »Niemand hat mir von ihr erzählt. Ich habe nur in den Tagen vor ihrem Tod ein paar Stunden mit ihr im Radcliffe Hospital verbracht. Ich war dort auch an dem Tag, an dem sie für immer einschlief, kam aber leider zu spät, um mich von ihr zu verabschieden.« Ich deutete mit dem Kinn auf Gabriel.
    »Mein Freund war ihr Nachbar im Haus in der St.
    Cuthbert Lane.«
    Kenneth blitzte Gabriel zornig an, lud aber den größten Teil seines Grolls auf mich ab. »Das ist doch absurd ! Da erfahre ich von zwei völlig Fremden vom Tod meiner Schwester! Wo gibt’s denn so was? Ich wusste noch nicht mal, dass sie im Krankenhaus war! Warum hat man mich nicht sofort nach
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher