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Tal der Träume

Tal der Träume

Titel: Tal der Träume
Autoren: Patricia Shaw
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und kümmerten sich nicht um feine Unterschiede zwischen den einzelnen Stämmen. Sie hatten einen Ältesten befragt, der die Verschmelzung unter den gegebenen Umständen befürwortete, allerdings hinzufügte, dass sich jeder an seine Traditionen halten solle.
    Jeder Mann trug die Last seiner Trauer mit sich. Numinga, der älteste der Gruppe, empfand seine Trauer wie einen Speer, der nie die Erde berührt hatte. An dem Tag, als er seinen Vater in Ketten gesehen hatte, dem man aus Spaß noch zu essen gab, bevor man ihn erschoss, hatte der Speer die schmerzhafte Reise durch sein Herz angetreten und war ins Blaue geflogen, auf der Suche nach Frieden, nach einem Ort, wo die alten Zeiten wieder aufblühen würden. Obwohl Numinga verfolgt wurde, hatte er den Krieg satt und sehnte sich nach Frieden mit den Weißen.
    Mimimiadie war ein erfahrener Vollblutkrieger, ein erbarmungsloser Kämpfer. Seine Frau war mit einer kleinen Gruppe auf die Jagd gegangen, doch als sie ins Lager zurückkehrten, entdeckten sie ihren zerschlagenen Körper in einem nahen Gebüsch. Er hatte sich gerächt, bevor die Frau begraben war, bevor noch die angemessene Trauerzeit begonnen hatte. Numinga wusste, Mimimiadie war ebenso gefährlich wie seine Gefährten Matong und Gopiny, doch was hätte er tun sollen? Nachdem sie zwei Goldsucher, die am Tod seiner Frau offensichtlich keine Schuld traf, aufgespürt und im Schlaf getötet hatten, hatte Mimimiadie erklärt, er führe den Krieg schlicht und einfach nach den Regeln des weißen Mannes. Auch seine Frau sei schuldlos gewesen.
    Der junge Bursche Djarama, der ungefähr fünfzehn sein musste, war bei dem blutigen Überfall vor Schreck erstarrt. Er war aus einer Missionsstation geflohen, wo ihm die weißen Gottesmänner, erstaunlich genug, erklärt hatten, dass die Morde an Schwarzen falsch seien. Ein Verbrechen. Ein Verstoß gegen die Gesetze der Weißen. Diese Narren! In der Missionsstation wäre Djarama sicher gewesen, aber nein, ausgerechnet diese Erzählungen hatten ihn dazu getrieben, sich einen Speer zu schnitzen und gegen die Weißen in den Krieg zu ziehen, und er hatte sich dieser Horde angeschlossen.
    Die Missionare vom Daly River hatten ihn als Kleinkind zu sich genommen, so dass er keinen Kontakt zu seinen Angehörigen mehr hatte. Er war überglücklich gewesen, dass ihn die schwarzen Männer und die nette Frau bei sich aufgenommen hatten. Doch sie war mittlerweile tot, und seit er ihren verstümmelten Körper gesehen hatte, war die Trauer ein ständiger Gast in seinen Augen. Er stand noch unter Schock, als Mimimiadie und seine beiden Gefährten mit den Goldsuchern kurzen Prozess machten. Und als er die Schreie hörte, krümmte er sich angeekelt zusammen.
    Sie alle hatten Narben davongetragen, tiefe Narben, dachte Numinga im Gehen. Sie waren unwiderruflich gezeichnet. Die Stammeskriege der alten Zeit waren festen Regeln gefolgt, die von den Urvätern festgelegt worden waren, aus ihrem Verständnis der Traumzeit heraus. Landbesitz wurde selten in Frage gestellt, weil jeder Fels, jede Wasserstelle, jeder Hügel und jede Ebene eine eigene Geschichte besaß, einen Ort in der Überlieferung der Stämme. Störungen, Überfälle, Beleidigungen führten zu Schlachten, doch nie zu einer Zerstörung ganzer Stämme und Traditionen. Jetzt war ein neues Denken gefragt, auf das niemand vorbereitet war. Selbst die größten Zauberer und Ältesten, die man früher als Richter angerufen hatte, um Blutvergießen zu vermeiden, wussten keine Antwort, keine Lösung.
    Während sie in die Abenddämmerung marschierten, brauchte Numinga die drei anderen nicht anzusehen, er kannte ihre Gefühle auch so. Sie waren im Durchschnitt zwanzig Jahre jünger als er, lebten aber in der Vergangenheit. Sie trugen die Bürde des Todes, das konnte er an den angespannten Muskeln ihres Rückens sehen, am Schwung ihrer Hüften, der Art, wie sie auftraten, am Gleichschritt, mit dem sie gingen. Er seufzte. Sie hatten zu viel gesehen, waren zu tief verletzt worden. Sie würden niemals nachgeben und als »zahme« Schwarze um Asyl bitten, wie so viele andere vor ihnen. Wie Numinga selbst. Gegen Verpflegung für die Weißen arbeiten. Sie waren Krieger, doch man würde sich an den Lagerfeuern der Zukunft keine Geschichten über sie erzählen, sie würden in dem Wirbelwind untergehen, der ihre Rasse verschlang.
    Numinga trauerte an ihrer Stelle, konnte ihnen aber keinen Rat geben: Er wusste keinen Ausweg. Er selbst hatte die Lebensweise der
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