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Tal der Traeume

Titel: Tal der Traeume
Autoren: Shaw Patricia
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beziehen würden. Seine Mutter hatte ihm erzählt, diese Schlucht sei heute unter dem Namen Campbell’s Gorge bekannt, nach dem weißen Mann, der sie entdeckt hatte. Manchmal wurde sie auch das »Tal der Träume« genannt. Unter diesen Namen kannte Yorkey die Schlucht. Seine Mutter hatte das alles freilich als Beleidigung aufgefasst. Entdeckt! Als habe sie niemand zuvor gesehen. Als hätten nicht Tausende von Generationen ihres Volkes jeden Zoll darin erforscht. Yorkey grinste. Sie hatte nicht Unrecht, doch er konnte nichts daran ändern. Ihre Erzählung war wichtig, und sie hatte nicht übertrieben. Die Schlucht war ein ungeheurer Anblick. Atemberaubend. So verschwommen ihre Erinnerung auch gewesen sein mochte, sie entsprach der Wirklichkeit. Yorkey liebte diesen Ort und wünschte sich, er könne es ihr sagen und damit ein Lächeln auf ihr verhärmtes Gesicht zaubern. Er seufzte, führte sein Pferd an ein Wasserloch und watete selbst hinein. Die Kälte des Wassers an diesem warmen Tag traf ihn wie ein Schock. Doch er war im Auftrag der Weißen hier, zum Trödeln blieb keine Zeit.
    Yorkey war Viehtreiber in Paddy Milligans Mannschaft, und sie mussten eine Viehherde durch die Schlucht treiben. Eine große Herde, die zwei Tagesritte hinter ihm lag. Paddy war ein erfahrener Treiber, einer der besten, und er hielt sich an eine Regel, wenn er durch fremdes Land wie das Nordterritorium zog, das weiter westlich lag, als er je zuvor gewesen war… »Du holst dir Einheimische, die sich auskennen, dann reitest du vor und prüfst es nach, als hätte dir ein Ire den Weg erklärt. Ein Yard könnte ebenso gut eine Meile sein, eine feuchte Stelle ein Sumpf.« Paddy war stolz, dass er seine Schutzbefohlenen stets sicher ans Ziel brachte.
    Yorkey fiel es schwer, sich in Campbell’s Gorge auf die Arbeit zu konzentrieren. Dieser Ort war einfach unglaublich. Obgleich er nie eine Kathedrale gesehen hatte, stellte er sie sich ungefähr wie diese Schlucht vor, nur kleiner. Aber voller Geister. Während er in glucksenden, nassen Stiefeln über flache Felsen und Steinblöcke stieg, spürte er bei diesem Gedanken ein Kribbeln im Rücken. Unheimlich. Eine verlorene Welt. Felskängurus hüpften über die schroffen Hänge, vollkommen lautlos. Ein Adler segelte anmutig in seinen sicheren Horst auf einem Felsvorsprung. Eine große Eidechse glitt auf die sonnige Seite eines Felsens und blieb still sitzen, still wie das Wasser in den Teichen. »Hallo!«, rief Yorkey plötzlich und lauschte dem Echo, das von den steinernen Wänden widerhallte, doch als sein Ruf verklang, meinte er, eine Antwort zu vernehmen, eine verzerrte, fremde Stimme. Er schaute hoch, legte die Hand über die Augen, suchte Simse, Vorsprünge und massive Säulen aus Stein ab, bemerkte die verblichenen Schichten, an denen man das Alter der Schlucht ablesen konnte, sah aber nichts. Niemand. Er versuchte es noch einmal mit dem Buschruf. »Coo-ee!« Dieser oft verwendete Ruf hallte mit Sicherheit weit und wurde mit einem dröhnenden Echo belohnt. Seine scharfen Ohren vernahmen ein fernes, doch deutliches »Ho«, das sich mit seinem Echo zu vermischen schien. Der Laut stammte nicht von einem Tier. Es war eine Stimme. Dort war jemand. Aber wo in diesem ungeheuren Schallkessel? »Wo bist du?«, brüllte er, und auch dieses Echo dröhnte um ihn herum, doch diesmal hörte er nur sich selbst. Er versuchte es wieder und wieder, gab aber schließlich auf. Irgendein Idiot, der sich wichtig nahm. Zum Teufel mit ihm! Die Einheimischen hatten Recht. Eine Abkürzung durch die Schlucht ersparte ihnen eine ganze Woche. Sie konnten die Herde mühelos über den flachen Grund treiben, wenn sie es langsam angehen ließen und nicht alle Tiere auf einmal in Gang setzten. Das Vieh würde sich wie im Himmel fühlen, Schatten, flache Wasserlöcher. Vermutlich würde die riesige Herde die Schlucht trocken trinken, dachte er. Doch Yorkey ließ sich von den schroffen Wänden der Schlucht nicht täuschen. Er hatte sein Leben lang im Norden dieses Landes gelebt, lange genug, um sich der Gefahren der Regenzeit bewusst zu sein. »Von wegen weites, trockenes Land«, sagte er zu seinem Pferd, als er sich in den Sattel schwang. »Eine Falle für Anfänger, sonst nichts. Aber im Moment ist sie noch sicher.« Misstrauisch betrachtete er die steilen Felsmauern. Selbst die gewaltige Kraft, die dieses Plateau gespalten hatte, änderte nichts an den Fluten des Monsuns, die Steine legten Zeugnis davon ab. Über die Wände
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