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Tagebücher

Tagebücher

Titel: Tagebücher
Autoren: Franz Kafka
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die Eduardowa immerhin war.

    Meine Ohrmuschel fühlte sich frisch rauh kühl saftig an wie ein Blatt.

    2
    Ich schreibe das ganz bestimmt aus Verzweiflung über meinen Körper und über die Zukunft mit diesem Körper

    Wenn sich die Verzweiflung so bestimmt gibt so an ihren Gegenstand gebunden ist, so zurückgehalten wie von einem Soldaten, der den Rückzug deckt und sich dafür zerreißen läßt, dann ist es nicht die richtige Verzweiflung. Die richtige Verzweiflung hat ihr Ziel gleich und immer überholt, (Bei diesem Beistrich zeigte es sich, daß nur der erste Satz richtig war) Bist Du verzweifelt?

    Ja? du bist verzweifelt?

    Laufst weg? Willst Dich verstecken?

    Ich gieng an dem Bordell vorüber, wie an dem Haus einer Geliebten

    Schriftsteller reden Gestank

    Die Weißnähterinnen in den Regengüssen

    Aus dem Coupeefenster

    Endlich nach fünf Monaten meines Lebens, in denen ich nichts schreiben konnte womit ich zufrieden gewesen wäre und die mir keine Macht ersetzen wird, trotzdem alle dazu verpflichtet wären, komme ich auf den Einfall wieder einmal mich anzusprechen. Darauf antwortete ich noch immer, wenn ich mich wirklich fragte, hier war noch immer etwas aus mir herauszuschlagen, aus diesem Strohhaufen, der ich seit fünf Monaten bin und dessen Schicksal es zu sein scheint, im Sommer angezündet zu werden und zu verbrennen, rascher als der Zuschauer mit den Augen blinzelt. Wollte das doch nur mit mir geschehn! Und zehnfach sollte mir das geschehn, denn ich bereue nicht einmal die unglückselige Zeit. Mein Zustand ist nicht Unglück, aber er ist auch nicht Glück, nicht Gleichgültigkeit nicht Schwäche, nicht Ermüdung, nicht anderes Interesse, also was ist er denn? Daß ich das nicht weiß hängt wohl mit meiner Unfähigkeit zu schreiben zusammen. Und diese glaube ich zu verstehn, ohne ihren Grund zu kennen. Alle Dinge nämlich die mir einfallen, fallen mir nicht von der Wurzel aus ein, sondern erst irgendwo gegen ihre Mitte. Versuche sie dann jemand zu halten, versuche jemand ein Gras und sich an ihm zu halten das erst in der Mitte des Stengels zu wachsen anfängt. Das können wohl einzelne z. B. japanische Gaukler, die auf einer Leiter klettern, die nicht auf dem Boden aufliegt, sondern auf den emporgehaltenen Sohlen eines halb Liegenden und die nicht an der Wand lehnt sondern nur in die Luft hinaufgeht. Ich kann es nicht, abgesehen davon daß meiner Leiter nicht einmal jene Sohlen zu Verfügung stehn. Es ist das natürlich nicht alles, und eine solche Anfrage bringt mich noch nicht zum Reden. Aber jeden Tag soll zumindest eine Zeile gegen mich gerichtet werden wie man die Fernrohre jetzt gegen den Kometen richtet. Und wenn ich dann einmal vor jenem Satze erscheinen würde, hergelockt von jenem Satze, so wie ich z. B. letzte Weihnachten gewesen bin und wo ich so weit war, daß ich mich nur noch gerade fassen konnte und wo ich wirklich auf der letzten Stufe meiner Leiter schien, die aber ruhig auf dem Boden stand und an der Wand. Aber was für ein Boden! was für eine Wand!
    Und doch fiel jene Leiter nicht, so drückten sie meine Füße an den Boden, so hoben sie meine Füße an die Wand.

    Ich habe heute z. B. drei Frechheiten gemacht, gegenüber einem Kondukteur, gegenüber einem mir Vorgestellten, so es waren nur 2, aber sie schmerzen mich wie Magenschmerzen. Von Seite eines jeden Menschen wären es Frechheiten gewesen, wie erst von meiner Seite. Ich gieng also aus mir 3
    heraus, kämpfte in der Luft im Nebel und das ärgste daß es niemand merkte, daß ich auch gegenüber meinen Begleitern die Frechheit als eine Frechheit machte, machen mußte, die richtige Miene, die Verantwortung tragen mußte; das schlimmste aber war, als einer meiner Bekannten diese Frechheit nicht einmal als Zeichen eines Charakters, sondern als den Charakter selbst nahm, mich auf meine Frechheit aufmerksam machte und sie bewunderte. Warum bleibe ich nicht in mir?
    Jetzt sage ich mir allerdings: schau, die Welt läßt sich von Dir schlagen, der Kondukteur und der Vorgestellte blieben ruhig als Du weggiengst, der letztere grüßte sogar. Das bedeutet aber nichts.
    Du kannst nichts erreichen, wenn Du Dich verläßt, aber was versäumst Du überdies in Deinem Kreis. Auf diese Ansprache antworte ich nur: auch ich ließe mich lieber im Kreis prügeln, als außerhalb selbst zu prügeln, aber wo zum Teufel ist dieser Kreis Eine Zeitlang sah ich ihn ja auf der Erde liegen, wie mit Kalk ausgespritzt, jetzt aber schwebt er mir nur so
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