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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Bitte, mir diesen hübschen, kleinen See aufzuschreiben, den er da in Schleswig-Holstein entdeckt hat, damit ich da mal mit meinem Neffen an einem Wochenendtag hinkann; nichts. Es ist ihm so egal, was andere Menschen tun, daß er’s einfach vergißt – sei es nun eine Glühbirne oder geliehenes Geld). Das Pünktchen auf dem i war, als ich zum soundsovielten Male ihn zum Essen – Abschiedsessen – bat, auch, weil ja noch vieles Vertragliche zu bereden war, auch nach vielen Absagen und «Logierbesuchen» (von denen ich nie wußte, wer’s war, und zu denen ich auch nie dazugebeten wurde) bequemte er sich endlich am vorletzten Wochenende, wir gingen zum Italiener, ich hatte vorher noch ein paar kleine melancholische Zeilen oben durchgesteckt (ohne jede Reaktion), und als die Rechnung kam, er hatte gerade 10.000 Mark von mir kassiert, sagte er glatt: «Laß es uns doch teilen», und hechtete mit dem Satz: «Laß es uns jetzt nicht dramatisch machen» fast wie in Angst mit einem Riesensatz die Treppe hoch, als wir nach Hause kamen – nix noch ’nen Drink oder wollen wir noch … (ich wollte garnicht, mußte ja nächsten Morgen früh nach Zürich, aber …). Es wird kühler um mich herum, einsamer. Nun wird Frau Stützner dort wohnen, und es wird wohl sachlich in Ordnung gehen, aber eine bestimmte Wärme ist weg. Ich hing menschlich doch sehr an ihm, hatte ein – wieso eigentlich? Er spricht inzwischen von den Verträgen, die «ganz klar» sein müssen, weil ich doch jeden Moment sterben könnte – ganz großes Vertrauen zu ihm. Habe ich zur Stützner auch – aber es ist doch, in gewisser Weise, eine sehr andere Situation. So ist sein Auszug ein Stück mehr Vereinsamung. Zu Zürich nur noch das: Wie merkwürdig, daß ausgerechnet die eine Stelle in meiner «Prosa», die nun ausschließlich und authentisch autobiographisch ist, jener Moment, der mein ganzes Leben bestimmt und zerstört hat, nämlich als mein Vater mich verführt und ich mit seiner Frau ficken muß – daß der als «unwahrscheinlich» abgelehnt wird. «So was gibt es nicht.» Ach Gottchen. «So was tut ein preußischer Mann nicht!» – Tja, ich hab’s ja gerade geschrieben, um zu zeigen, daß so einer so was eben tut. Und mehr.
    Kampen, den 12. Juni
    Zerwirbelte Vor-Sylt-Tage; fahre nächste Woche, nach dem letzten Autor-Scooter (den ich als «Autor» mit Wapnewski mache), nach Kampen, wie immer: Jetzt freue ich mich auf die Ruhe und Einsamkeit, nach einem wahren Reigen von «social commitments», Abend für Abend. Aber sitze ich dort erst einmal, bin ich spätestens vom 3. Tag an todunglücklich in meiner Einsamkeit. Und die Berge von Arbeit, die ich mitnehme, beunruhigen mich schon jetzt. Merkwürdige «Urlaube» sind das immer. So hat mich auch ein Satz in einem Fassbinder-Nachruf besonders geschockt: Er habe nie in seinem Leben auch nur einen Tag Urlaub gemacht. Was für mich ja nun wirklich auch zutrifft – ob nun Sylt, auf Sardinien oder in Fuerteventura: Ich habe doch stets ein Buch vor der Nase oder kritzle an etwas. Ist wohl eines der «Geheimnisse», nach dem alle immer fragen, wenn sie sagen: «Wann schaffen Sie das alles bloß?» So ist eigentlich eine ziemlich sinnlose Woche vorbeigerast, ein Abend bei Peter Koch, STERN-Chef, schönes Haus in Övelgönne, bemerkenswerte Bilder – aber törichter Abend mit plappernden Gästen in Turnschuhen. Ein anderer Abend mit dem wie immer kakelnd zurückgekehrten Fichte, der wieder viele Male in Lateinamerika ermordet wurde, von der AIR FRANCE die Concorde-Tickets geschenkt bekommen habe («Ich bin eben berühmt») und anstandslos ein entlegenes Hörspiel von sich einen «Klassiker» nennt, den zu verlegen Herr Heinrichs sich freuen würde, weil er dann ja ein Werk hätte. Letztlich genauso grotesk der nächste Abend mit Felix Schmidt, zweiter STERN-Chef, der nur über seine Armut – bei geschätzt 500.000 DM im Jahr – klagt und auf eine Insel will. Ich weiß oft nicht: Gehört das nun wirklich zu meinem Beruf, oder warum mache ich’s? Wohl nur, weil man auch nicht Abend für Abend zu Hause seine Boulette alleine rühren mag. Vermutlich, mit wenigen Ausnahmen wie Brasch, reden sie nur schlecht, und die ganzen Angebote wie die vom STERN («Wir engagieren Sie am Tage, an dem Sie bei der ZEIT aufhören») sind nur Gerede. Schrecklichster Klatsch in der Beziehung: ein kleiner, klatschsüchtiger Nicht-Schriftsteller namens Steinke erzählte mir, habe es angeblich von Havemanns Tochter Bille (die
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