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Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Titel: Tagebuch 1946-1949 (German Edition)
Autoren: Max Frisch
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Montag!«
    »Bitte, geh schlafen.«
    »Ich bin wirklich im Wald gewesen –«
    »Wenn das wieder losgeht!« weint sie.
    »Was?«
    »Warum lügst du?« sagt sie plötzlich ohne Tränen: »Wenn es ein Frauenzimmer ist, warum sagst du es nicht?«
    Pause.
    »Es ist kein Frauenzimmer.«
    Pause.
    »Und wenn!« schreit er plötzlich: »Ich habe gelogen, ja, ich habe gelogen! Ein Leben lang habe ich gelogen – – –«
    Bimba versteht kein Wort, eine Viertelstunde geht er hin und her, Heinrich Gottlieb Schinz, der nicht getrunken hat, das weiß sie; hin und her, schreiend, um so lauter schreiend, je mehr sie ihn dämpfen will, Dinge redend, die keinen Sinn haben, die alles auf den Kopf stellen, aber wirklich alles, kein Glaube bleibt an seinem gewohnten Ort, kein Wort, das gestern noch gegolten,ein Leben lang gegolten hat – Vielleicht hat er wirklich Fieber … Anders kann Bimba es nicht erklären, sein wirres Geschrei, Bimba sagt fast nichts; nur einmal:
    »Gottlieb, ich bin nicht taub.«
    Bimba hat ihn noch nie so erlebt.
     
    Am andern Morgen, wie gesagt, es ist Montag, Arbeitstag, die Kinder müssen ins Gymnasium, frühstücken im Stehen, die Mappe unter dem Arm, obschon Schinz diese Schlamperei nicht haben will – am andern Morgen, als Schinz und seine Bimba zusammen frühstücken, scheint alles wieder in Ordnung; kein Wort über die nächtliche Szene; Bimba im Morgenrock, der ihr besonders schmeichelt, röstet die Brote wie immer am Montag, wenn das frische Brot noch nicht da ist; Schinz überfliegt die Morgenzeitung, indem er es ganz seinen Händen überläßt, das Ei zu köpfen, kurzum, die Gewöhnung: – alle Worte stehen wieder an ihrem Ort … Von Fieber kann nicht die Rede sein, Schinz hat sich gemessen.
    »Gott sei Dank«, sagt Bimba: »du hättest dich zu Tode erkälten können.«
    Sie glaubt jetzt an den Wald.
    »Jedenfalls werden wir dich am Nachmittag wieder messen!« meint sie: »Die Anita hat eine wirkliche Erkältung erwischt.«
    (Anita heißt die Dogge.)
    Der Montag vergeht wie gewöhnlich, die laufenden Geschäfte bringen nichts Besonderes, Schinz fühlt sich durchaus in Ordnung, so daß sie die Karten für den »Rosenkavalier« nicht zurückgeben. Nach dem Theater, alles wie gewohnt, trinken sie ein Glas Wein; Bimba im schwarzen Pelz. Sie ist besonders zärtlich zu ihm, unwillkürlich, etwa wie zu einem Kranken. Schinz merkt es mehr als sie: etwas Behütendes, etwas auch von einer Mutter, welche die Leute nicht will merken lassen, daß ihr Kind ein fallendes Weh hat. Da er sich tadellos fühlt, kränkt es ihn nicht; immerhin bemerkt er es, hofft, sie werde diese etwas rührende Art bald wieder verlieren. Nicht Bimbas eigentliche Art! Doch sagen will er nichts. Mein Liebes, müßte er etwa sagen, ichbin nicht verrückt! Draußen auf der Straße kauft Schinz eine Zeitung, alles wie gewohnt; als er zum Wagen zurückkommt, sitzt Bimba bereits am Steuer. Sie möchte wieder einmal fahren! Schinz schweigt.
    »Sonst verlerne ich es«, sagt sie.
    Auf der Heimfahrt redet Schinz kein einziges Wort, das ist selten bei ihm, aber auch schon dagewesen. Immerhin sagt Bimba:
    »Was ist mit dir, Gottlieb?«
    »Was soll denn sein.«
    »Bist so still!«
    »Nichts«, sagt er: »Müde –.«
    »Die Steinhofer war doch herrlich!«
    »Sehr.«
    »Sie ist reifer geworden«, sagt Bimba: »Oder findest du nicht?«
    Keine Antwort.
    »Ich fand sie herrlich.«
    Wenn das so weitergeht, denkt Schinz, wird es eine Hölle. Wenn was weitergeht? Das weiß er nicht. Aber eine Hölle; das ist sicher … Er schließt die Garage, während Bimba, obschon es regnet, auf der Treppe wartet.
    »Geh doch schon!« ruft er.
    Sie wartet. Er, plötzlich am Rande seiner Beherrschung, reißt nochmals die Garage auf, macht Licht, öffnet den Wagen.
    »Was ist denn los?« ruft Bimba.
    Schinz hat die Zeitung vergessen.
    »Geh schon!« ruft er –
    Aber Bimba wartet, sie ist sogar einige Stufen heruntergekommen, als habe sie Angst, Schinz könnte den Wagen nehmen und nochmals wegfahren. In den Wald, zu der Geliebten in den Wald! denkt er, läßt sich außerordentlich Zeit, bis er die Garage wieder geschlossen hat. Sie wartet wie eine Krankenwärterin! denkt er …
    Das ist der Montag gewesen.
     
    Ebenso der Dienstag, der Mittwoch, der Donnerstag … am Donnerstag hat Schinz einen neuen Fall, einen ziemlich gewöhnlichen: Anklage auf Diebstahl. Nicht Diebstahl eines Fahrrades! Auch Schinz hat sogleich daran gedacht, etwas literarisch wie er nun einmal
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