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Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Titel: Tagebuch 1946-1949 (German Edition)
Autoren: Max Frisch
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er zum selben Zweck auszieht. Er sucht in sämtlichen Taschen, ob er nichtdoch ein Zigarillo findet. Umsonst. Endlich wieder in Ordnung, bewußtermaßen mit einem neuen Gespräch gewappnet, stapft er auf den Weg zurück; der Schnee ist schon tief, die Hosenstöße platschnaß.
    »Da sind Sie ja!« sagt Schinz erleichtert und aufgeräumt: »Als wir Buben waren, wissen Sie, da haben wir in diesem Wald einmal Räuber gespielt; da ist mir doch einmal das Folgende passiert –«
    Der Förster hört zu.
    »Im Hemd!« schließt der Erzähler: »Im Hemd stand ich da, sage und schreibe, und so mußte ich zurück in die Stadt.«
    Sie lachen.
    »Dieser Förster«, sagt Schinz nach einigen Schritten: »vielleicht waren Sie das!«
    »Vielleicht.«
    Schweigen.
    »Und dann«, sagt die Stimme des Försters: »dann ging diese Geschichte natürlich weiter; wie gesagt, der Mann war in schwerer Not, er hatte keine Wahl, wie Sie selber zugeben, eines Tages hat er das Fahrrad gestohlen, und jetzt ging es natürlich los, eines Tages werde ich als Zeuge gerufen –«
    Das ist von Schinz der letzte Versuch gewesen, dieser Geschichte mit dem Fahrrad auszuweichen. Eine kleine, aber umständliche, eine alltägliche, eine verzwackte, aber wirkliche Geschichte … Es ist, als sie endlich zu den ersten Laternen kommen, beinahe Mitternacht. In der Stadt ist der Schnee nicht geblieben, lauter Nässe, die Flocken sinken aus den städtischen Bogenlampen, eine Limousine fährt durch spritzende Tümpel, kein Mensch, zum Glück gibt es noch eine Straßenbahn, eine letzte, so daß Schinz, was der Förster hoffentlich begreift, sich nicht lange verabschieden kann. Hinein mit dem Hund! Drinnen grüßt Schinz mit dem triefenden Hut, ohne den Förster im Dunkeln zu sehen –.
    »So ein Wetter!« sagt er.
    Der Schaffner gibt keine Antwort, nur zwei Karten, eine für Schinz und eine für den Riesenhund, der auf der Plattform steht,dieweil Schinz sich gerne gesetzt hat … Im Licht ist alles wie nie gewesen!…
     
    Natürlich hat Schinz keine Schlüssel, wenn er mit dem Hund einen Morgenbummel macht. Aber Bimba, versteht sich, hat ohnehin nicht geschlafen; sie ist außer sich.
    »Nicht einmal ein Anruf!« sagt sie.
    Sein einziger Wunsch: ins Badzimmer, bevor sie fragt, wo er gewesen sei. Sie wird es nicht glauben. Er gähnt; etwas mehr als unwillkürlich; um nicht sprechen zu müssen.
    »Wo bist du denn gewesen?«
    Keine Antwort; er zieht die Schuhe aus, im Grunde zufrieden, daß er wieder zu Hause ist, ärgerlich nur, um jetzt nicht gefragt zu werden. Umsonst! Bimba kennt ihn, weiß, daß er keine Auskunft geben will; kein Gespräch, sondern ein heißes Bad. Bimba läßt es einlaufen, ihrerseits ärgerlich, immerhin holt sie ein frisches Frottiertuch, legt es wortlos hin, ärgerlich über solchen Männerkniff: Ich habe Ärger, laßt mich in Ruhe! Auch der Hund, der im Office frißt, trieft vor Nässe. Die Kinder schlafen bereits, ebenso das Dienstmädchen.
    »Wieso willst du nichts essen?« sagt Bimba: »Ich mache einen Tee, Eier, kaltes Fleisch ist auch noch da –.«
    »Danke.«
    Bimba sieht ihn an.
    »Gottlieb, was ist mit dir?«
    »Nichts«, sagt er: »Müde –.«
    Das Bad ist voll.
    »Danke«, sagt er –
    Einmal gibt sie ihm einen Kuß, um zu wissen, ob er getrunken hat. Keine Spur. Schinz gibt den Kuß zurück, um endlich baden zu dürfen.
    »Du hast ja Fieber?«
    »Unsinn«, sagt er.
    »Bestimmt hast du Fieber!«
    »Komm«, sagt er: »Laß mich –.«
    »Warum kannst du nicht sagen, wo du den ganzen Tag gewesenbist? Verstehe ich nicht. Nicht einmal ein Anruf! Ich sitze den ganzen Tag, rege mich auf wie eine Irrsinnige – und du kommst um Mitternacht, wo wir seit dem Mittagessen warten, und sagst nicht einmal, wo du gewesen bist.«
    »Im Wald!« schreit er.
    Türe zu!… Hoffentlich sind die Kinder nicht erwacht, es ist sehr unbeherrscht gewesen, sehr unschinzisch. Dreiviertel Stunden dauert das Bad. Als Schinz herauskommt, rosig und wie neugeboren, sitzt Bimba mit verheulten Augen.
    »Was ist denn los?«
    »Rühr mich nicht an!« sagt sie.
    Bald zwei Uhr; es wäre wunderbar, jetzt schlafen zu können, wenn Bimba nicht weinen würde. Eine Frau von vierundvierzig Jahren, Mutter von vier gesunden Kindern, deren ältestes demnächst heiraten wird, schluchzt mit zitternden Schultern! nur weil der Gatte sich erlaubt hat, einen Sonntag lang sich im Wald zu verirren.
    »Bimba«, sagt er – und streicht ihr immer noch schönes Haar: »Morgen ist
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