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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer
Autoren: Frank McCourt
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zu verkaufen, obwohl er kaum genug Englisch konnte, um sich im Alltag verständlich zu machen, immer die Zähne zusammenzubeißen und weiterzuschuften, damit seine Kinder eine Ausbildung bekommen, von der man in Korea nicht mal träumen konnte. Als Ken dann in einem Englischseminar in Stanford vom Professor aufgefordert wurde, über eines seiner Lieblingsgedichte zu referieren, war ihm ausgerechnet »Walzer mit meinem Vater« eingefallen, und, mein Gott, das war einfach zu viel. Er brach zusammen und weinte vor all den Leuten, aber der Professor war phantastisch, er legte Ken den Arm um die Schultern, ging mit ihm in sein Büro und wartete, bis er sich wieder gefangen hatte. Sie blieben eine ganze Stunde im Büro des Professors, er redete und weinte, und der Professor sagte, das sei schon okay, sein Vater sei polnischer Jude, und er halte ihn für einen elenden Schweinehund, wobei er vergesse, daß dieser elende Schweinehund Auschwitz überlebt und sich nach Kalifornien durchgeschlagen habe, wo er den Professor und zwei weitere Kinder großzog und einen Feinkostladen in Santa Barbara führte, obwohl er jeden Moment hätte zusammenklappen können, weil alle seine Organe durch den Lageraufenthalt geschädigt waren. Der Professor meinte, ihre beiden Väter hätten sich sicher viel zu sagen, aber dazu werde es nie kommen. Der koreanische Obst- und Gemüsehändler und der jüdisch-polnische Feinkosthändler würden nie die Worte finden, die einem an der Universität so leicht über die Lippen kommen. Ken sagte, im Büro des Professors sei ihm eine große Last von der Seele genommen
worden. Oder man könne auch sagen, sein Kreislauf sei von allen möglichen Giften gereinigt worden. Irgend etwas in der Art. Jetzt werde er seinem Vater eine Krawatte und seiner Mutter Blumen zu Weihnachten kaufen. Zugegeben, es sei verrückt, ihr Blumen zu kaufen, weil sie ja selber welche in ihrem Laden hatten, aber es sei ein großer Unterschied zwischen Blumen, die man beim Koreaner nebenan kaufe, und solchen aus einem richtigen Blumenladen. Er müsse immer wieder an die Bemerkung des Professors denken, die Welt sollte den jüdisch-polnischen Vater und den koreanischen Vater mit ihren Frauen, falls sie das Glück hätten, welche zu haben, in der Sonne sitzen lassen. Ken mußte lachen, weil sich der Professor so ereiferte. Sie einfach in der gottverdammten Sonne sitzen lassen. Aber das duldet die Welt nicht, denn es gibt nichts Gefährlicheres, als alte Knacker in der Sonne sitzen zu lassen. Da würden sie womöglich anfangen zu denken. Mit Kindern ist es dasselbe. Man muß sie auf Trab halten, damit sie nicht zu denken anfangen.

16
    I ch lerne. Der Mick aus den Gassen von Limerick läßt seinen Neid raushängen. Ich habe es mit Einwanderern der ersten und zweiten Generation zu tun, mit Leuten wie ich, aber auch mit der Mittelklasse und der oberen Mittelklasse, und ich mache mich lustig. Ich will mich nicht lustig machen, aber alte Gewohnheiten sind nicht totzukriegen. Es ist die Mißgunst. Nicht einmal Ärger. Nur Mißgunst. Ich schüttle den Kopf darüber, was ihnen wichtig ist, dieser Mittelstandskram, es ist zu heiß, es ist zu kalt, diese Zahnpasta mag ich nicht. Nach drei Jahrzehnten in Amerika bin ich immer noch dankbar dafür, daß ich einfach das elektrische Licht anknipsen oder nach dem Duschen nach einem Badetuch greifen kann. Ich lese einen Mann namens Krishnamurti, und mir gefällt an ihm, daß er sich nicht als Guru aufspielt wie manche dieser Typen, die scharenweise aus Indien kommen und mit ihren Blechbechern Millionen einsammeln. Er will kein Guru sein, kein Weiser oder irgend etwas in der Richtung. Er spricht nur von der Möglichkeit, daß du auf lange Sicht auf dich selbst angewiesen bist, Baby. Es gibt einen beängstigenden Essay von Thoreau, dem er den Titel »Gehen« gegeben hat, darin sagt er, wenn man das Haus verläßt, um ein Stück zu gehen, sollte man so frei, so ungebunden sein, daß man nie wieder an seinen Ausgangsort zurückkehren muß. Man geht einfach nur immer weiter, weil man frei ist. Ich ließ die Schüler diesen Essay lesen, und sie sagten, o nein, das könnten sie nie machen. Einfach weggehen? Sie machen Witze! Was seltsam ist, denn als ich mit ihnen über Kerouacs und Ginsbergs Vagabundenjahre sprach, fanden sie das toll. Diese Freiheit. Marihuana und Frauen und Wein auf dreitausend Meilen. Wenn
ich mit diesen Kids spreche, spreche ich mit mir selbst. Was wir gemeinsam haben, ist das Gefühl der
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