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Tacheles

Tacheles

Titel: Tacheles
Autoren: Andreas Pittler
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Fliege etwas zuleide zu tun.
    „Guten Tag, ich bin Oberst Bronstein von der Mordkommission, das ist mein Kollege, Major Cerny. Wir hätten ein paar Fragen an Sie, denn kürzlich wurde der Hausherr Opfer eines Gewaltverbrechens“, begann Bronstein.
    „Nerozumim“, antwortete die Alte kurz angebunden, „kdo jste? A co chcete?“
    „Ob Sie Zeit für ein paar Fragen hätten“, wiederholte Bronstein sein Begehr, wobei er seine Lautstärke beträchtlich angehoben hatte.
    „Meine Deitsch nicht besser“, stammelte die Hawranek.
    „Co Pan Oberst chce je … on chce vědět, jestli vite, že Pan Demand je mrtvy. Videli jste něco? Nebo poslouchali jste?“
    Bronstein war ehrlich erstaunt. Natürlich wusste er, dass Major Cerny tschechischer Herkunft war. Aber dass er die Sprache noch beherrschte, war dem Oberst neu. Cerny wurde Bronstein immer suspekter. Der Mann war das, was man unter seinesgleichen wohl einen Feschak nannte, hatte eine wunderbare und schöne Frau zu Hause, war mit neununddreißig Jahren im besten Mannesalter, stets höflich und zuvorkommend, ebenso gebildet wie klug, und jetzt konnte er auch noch Tschechisch. Zum Glück galten im Staatsdienst Leistung und Können wenig, denn sonst wäre Cerny der Vorgesetzte und nicht er.
    Während Bronstein seinen Untergebenen von der Seite ansah, bekam er mit, wie die Alte – wie aufs Zauberwort – förmlich aufgelebt war. Bronstein verstand von diesem slawischen Kauderwelsch natürlich kein Wort, und er musste sich beherrschen, sich nicht andauernd in die Unterhaltung mit Sätzen à la „Was sagt sie?“ einzumischen.
    Es war auch ohne Kenntnis der tschechischen Sprache offensichtlich, dass die alte Hawranek eine richtige Bassenatratschn war. Cerny kam kaum zu Wort, dafür war die Hawranek in ihrem Element. Wahrscheinlich erzählte sie dem Major ihre gesamte Lebensgeschichte, so ausführlich waren ihre Schilderungen. Und doch war es vergebene Liebesmüh, denn diese Frau taugte nicht einmal als Zeugin, geschweige denn als Tatverdächtige.
    Diesen Eindruck bestätigte schließlich auch Cerny, nachdem er sich ausführlich für das Gespräch bedankt und der alten Frau noch ein paar überaus schmeichelhafte Komplimentegemacht hatte. „Sie weiß überhaupt nichts“, sagte er wie erwartet zu Bronstein, „hat nichts gesehen und nichts gehört. Sie ist gestern Abend früh zu Bett und hat dann bis gegen acht Uhr geschlafen. Danach hat sie sich ein Frühstück gemacht und Radio gehört. Das sei das einzige Vergnügen, das ihr noch bleibe, hat sie erklärt, bevor sie mir detailreich schilderte, welchen Vergnügungen nachzugehen sie früher in der Lage gewesen sei. Ich habe ihr dann gesagt, dass früher wohl noch nicht allzu lange her sein kann, worauf sie ihr Bestes tat, hold zu erröten. Sie versicherte mir, uns jederzeit wieder zur Verfügung zu stehen – vor allem aber mir. Dann hat sie mir noch Škubanky angeboten, die ich aber, dein Einverständnis vorausgesetzt, abgelehnt habe.“
    „Was ist denn das?“
    „Eine tschechische Spezialität. Sehr kalorienreich.“
    „Du hast die richtige Entscheidung getroffen“, erklärte Bronstein aufgeräumt und zog unwillkürlich seinen Bauch ein. Dann machten sie sich an den Anstieg in den zweiten Stock.
    Wie erwartet brachte auch die Befragung des pensionierten Beamten Beranek nichts. Der Mann war schwerhörig und litt unter Schlafstörungen, weshalb er in der Nacht zuvor schwere Schlafmittel eingenommen habe. Es hätte eine Granate neben ihm einschlagen können, er wäre nicht munter geworden. Bronstein und Cerny äußerten Verständnis für die Lage des Mannes und begaben sich sodann in den dritten Stock.
    Obwohl es mittlerweile beinahe Mittag war, brauchte es einige Zeit, ehe der Künstler die Tür öffnete. „Sie haben mich aufgeweckt!“, protestierte er, ohne zuvor irgendeine Begrüßung abgewartet zu haben.
    Bronstein und Cerny stellten sich dem Mann vor und forderten ihn dann auf, ihnen seine Personalien anzuvertrauen. Der Maler kam langsam zu sich und bat die Beamten erst einmal in die Wohnung.
    Beide registrierten sogleich das unermessliche Chaos, die furchtbare Unordnung, die hier herrschte. Offenbar hatte der Künstler in der Vornacht kräftig gefeiert, denn überall lagen leere Flaschen herum, zudem quollen sämtliche Aschenbecher, die sich in der Wohnung befanden, nahezu über. Schließlich lagen auch noch Kleidungsstücke, Zeitungen, Farbtuben und mancherlei Gerätschaften zwanglos auf dem Boden verteilt.
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