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Tablettenfee

Tablettenfee

Titel: Tablettenfee
Autoren: Gunter K. Kubicza
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andererseits konnte auch wer anders vor der Tür stehen. War es am Ende Bianca?!?
    Udo sprang auf. Bruce Lee wäre vor Neid selbst im Grab erblasst, wenn er diese Bewegung gesehen hätte. Bruce ›Udo‹ Lee hechtete weiter in Richtung Tür. Ungeachtet seines Brummschädels lief er Hals über Kopf ins Vorzimmer und wurde immer schneller. Beinahe wäre er über den achtlos in der Mitte des Raumes stehenden Kleiderturm gestolpert.
    Doch zum Glück konnte er gerade noch vor einer katastrophalen Schnauze-am-Boden-Bruchlandung am Türgriff Halt finden. Noch während er sich mit der einen Hand wieder in die Senkrechte zog, verdrehte die andere auch schon den Schlüssel, der bis dato die Tür verriegelt hatte, und öffnete diese.
    »Aloh!«, grinste der Mann in der blauen Uniform vor der Tür ihn an.
    »Ach so …«, seufzte Udo, als er bemerkte, dass es Ratschi war und nicht seine unbekannte Bianca. Ratschi hieß der Mann vor der Tür natürlich nicht wirklich. Mit bürgerlichem Namen hieß er Akshat Rajiv, und war bis vor kurzem eigentlich noch von jedem ›Ratschi‹ gerufen geworden. Als dann aber der Inder-Hype durch einen nationalen Mobilfunkanbieter losgetreten worden war, musste auch Ratschi darunter leiden. So war er für viele nur noch ›der Inder‹. So genannt zu werden war Ratschi gar nicht recht. Aber er war zu höflich und auch zu nett, um sich darüber aufzuregen. Auch wenn ihm dieser Spitzname gar nicht gefiel, Ratschi blieb dennoch freundlich.
    Des Weiteren hatte Ratschi einige Kilo Übergewicht und irgendwie erinnerte er Udo an Forrest Whitaker. Als er damals ›Der letzte König von Schottland‹ gesehen hatte, hatte er ständig an Ratschi denken müssen. Irgendwie erinnerten Udo fast alle Menschen an irgendwelche Schauspieler. Naja, wobei Forrest Whitaker sicherlich Geschmack hatte. Niemals hätte dieser unter dem blauen Pullunder dieser Uniform ein weißes Hemd mit dunkelblauem Paisleymuster getragen. Und zu allem Überfluss waren sowohl Pullunder als auch Hemd mindestens zwei Nummern zu eng. Das war eben Ratschi – Ratschi Withaker –, die indische Version.
    »Was gibt‘s, Ratschi?«, fragte Udo.
    »Nah, wahs wi‘d schon sein?«, grinste Ratschi und fuhr mit der einen Hand in seine Posttasche. »Ich briinge dir Poost! – und ik braucke eine Uuhnterschrift. Du ‘ast einen Lieebesbrief von der Stahdtverwaltuung heutee. Gut, dass duh da bist!«, raspelte Ratschi in gebrochenem Deutsch. Er streckte ihm den blauen Brief gemeinsam mit einem Werbe-Kugelschreiber von dem mit Indern werbenden Mobilfunker hin. Udo musste schmunzeln. Das war wahre Selbstironie.
    »Solide. Das ist Service.« Er nahm den Kuli und unterschrieb.
    »Aber dafür kommst du am Sonntag am Abend zu mir? Nur wegen dieser Unterschrift?«
    »Sohntak? Nix Sohntak. Es ist Montak. Montak Morgen.« Ratschi guckte auf seine billige Plastikuhr am Handgelenk und bestätigte »Neun Uhrrr und zwai Minute.«
    Ein Blitz durchfuhr Udo und sein Kopf schien zu explodieren. Wie spät? Mit einem Griff riss er die Hand des indischen Postboten an sich und starrte sicher zehn Sekunden wortlos auf die billige gelbe Plastikuhr mit rotem ›BILLA‹-Schriftzug am Ziffernblatt, welche zweifellos und tatsächlich 9:02 Uhr anzeigte.
    Der indische Postler hatte sich also nicht getäuscht, die Sprachbarriere hatte demnach keinen Einfluss auf das Erkennen der Uhrzeit. Gleichzeitig bemerkte er auch, dass die Plastikuhr Schwerstarbeit zu leisten schien. Sie bändigte und bündelte einen Urwald von langen schwarzen Haaren auf der dunklen Hand seines Postboten. ›Solide Arbeit die Zweite.‹ ›Wahh … wo war er mit den Gedanken?‹ Udo schrak hoch. Er war immer noch wirr im Kopf. Okay, es war neun Uhr. Das stand dank ›BILLA‹ fest. Aber abends oder morgens?
    Der Postbote war zwar ein recht klares Zeichen, aber …
    Nein – kein Aber! Er bemerkte, dass die neueste Ausgabe seiner Tageszeitung auf seinem Fußabstreifer lag. Um ganz genau zu sein – er stand seit dem Öffnen der Tür auf eben dieser.
    »Wahhh! Shit!«, schrie Udo laut – und noch irgendetwas wie »‘tschuldige«. Dabei drehte er sich um und sprang in seine Schuhe.
    »Ratschi! Sorry, aber ich muss mich beeilen … hab verschlafen … muss zur Arbeit.«
    »Dahs dackte ich mir schon …«, grinste der indische Briefträger und trat einen Schritt zur Seite, als Udo den Schlüssel außen hineinsteckte.
    Udo zog die Tür ins Schloss und versperrte sie.
    »Uuhnd jezz geehst du zu A‘beit?«, fragte
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