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Sweet about me

Sweet about me

Titel: Sweet about me
Autoren: Dietmar Sous
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dir die Story schon erzählt?«
    » Nein«, sagte ich, denn eine andere Antwort wollte Gerster nicht hören.
    » Weißt du«, sagte er, und dann machte er eine bedeutungsvolle Nikotinpause, » weißt du, ich hing Anfang der Neunziger ’ne ganze Woche mit Mick und Keith in New York rum. Eines Nachts waren wir im Village Vanguard, diesem Jazz-Club, 7. Straße, Greenwich Village, du weißt. Die stellen schon die Stühle auf die Tische, und da setz ich mich aus ’ner Laune raus ans Klavier und fang an zu klimpern, und da schreit Keith, der nach dreißig Pink Vodka stoned in den Seilen gehangen hatte, plötzlich ganz aufgeregt: ›He, Mann, was spielst du da? Spiel das beschissene Zeug noch mal!‹ Sag jetzt nichts«, sagte Gerster zu mir, dabei hatte ich gar nicht vor, etwas zu sagen.
    Es gab Tage, an denen ich mit Widerwillen, beinahe mit Abscheu an seinen nächsten Anruf dachte. Er hatte eine angenehme, sonore Stimme, aber sein Raucherhusten, das laute Inhalieren und Wegpusten des Rauchs, das häufige Räuspern! Seine Kontrollfrage: » Bist du noch da?« Seine Lieblingsfloskeln Es stand mal wieder Spitz auf Knopf und Geiles Stöffchen, das. Wenn er seine ewigen Geschichten wenigstens variiert, ein bisschen aufgepeppt hätte. Wenn er schon mal was dazugelogen hätte, nicht nur den Stones einen Titel in die Saiten diktiert hätte, sondern auch Sonic Youth oder Tocotronic!
    Ich ließ mich vorteilhaft fotografieren und bewarb mich mit meinen besten Artikeln bei anderen Musikzeitschriften. Ich hielt wochenlang vergeblich nach dem Briefträger Ausschau, zuckte bei jedem Läuten des Telefons zusammen, wich meinem E-Mail-Empfänger nicht von der Seite.
    Wenn Gerster mehr als angetrunken war, redete er ausschließlich von Inge. Inge aus Bielefeld, die Liebe seines Lebens, und wie er sie durch Leichtfertigkeit für immer verloren hatte.
    » Kurze blonde Haare und ein Gesicht wie die junge Jean Seberg, du weißt schon, Außer Atem mit Belmondo. Eine Ausstrahlung hatte Inge, damit hätte sie nachts ganz Berlin erleuchten können! Ich verdammtes Arschloch!«
    Gerster tröstete sich mit einem großen Schluck. Aber es war nicht wie in Chaplins Lichter der Großstadt. Gersters Erinnerungsvermögen funktionierte am nächsten Tag. Er wusste, dass ich mir einen neuen Auftrag verdient hatte. Jeden Monat bewahrte er mich aufs Neue davor, die Wände oder leere Gläser anstarren zu müssen.
    Um zehn nach acht stürmte ich in die Halle, und diese Pünktlichkeitsfanatiker standen tatsächlich schon auf der Bühne. Nicht mal sechzig Sekunden später kriegte ich das große Ohrensausen. Ein schriller Pfeifton leitete den Schlamassel ein. Mir wurde schwindlig, ich fing an zu schwitzen. Die Musik war nur noch Pressluftgewitter, Fabriklärm, Stalinorgel, Folter auf höchster Stufe.
    Ich kämpfte mich aus dem flackernden Saal, hatte Angst zu ersticken. Schob mich durch die engen Reihen rücksichtslos glücklicher Egomanen, die zappelnd auf das Kommando von Bass und Schlagzeug hörten und sich den Parolen des Sängers unterwarfen. Jemand stieß mir die Brille von den Augen, zertanzte sie.
    Als ich den Ausgang erreicht hatte, hörte sich alles an wie tief unter Wasser. Es klingelte und rauschte dumpf, verzerrt. Ich war erledigt, der Rock ’n’ Roll hatte mich taub gemacht. Ich hatte mein Gehör unter dröhnenden Kopfhörern zugrunde gerichtet, in Hallen und Clubs ohne Dezibelbeschränkung.
    Aber damit nicht genug. Nachdem ich kurzsichtig über die Autobahn nach Hause geschlichen war, wartete eine schäbige Mail auf mich. Irgendeine Volontärin teilte mir mit drei Rechtschreibfehlern mit, Gerster habe seinen Schreibtisch geräumt und das Magazin verlassen.
    Sofort fiel mir der verdammte Kredit ein.

6
    T om gratulierte mir, weil mit der Finanzierung alles so gut geklappt hatte.
    » Und am ersten Dezember wollt ihr schon einziehn?«, fragte er.
    » Wenn’s irgendwie geht«, antwortete ich mit Regentropfen auf den Brillengläsern. » Wir möchten so schnell wie möglich aus der alten Wohnung raus.«
    » Kein Problem. Unter Zeitdruck arbeite ich am liebsten. Sucht ihr Wandfarben und Teppichboden aus, den Rest übernehme ich.«
    Dann wusch er weiter sein silbergraues Auto. Tom hatte zwei rechte Hände, war aber noch nie auf einem arabischen Ölfeld gewesen. Mit seinen eins fünfundneunzig, dem rasierten Schädel und dem leichten Dauergrinsen hätte er Leibwächter eines Scheichs sein können, doch auch das hatte sich noch nicht ergeben. Tom hielt sich
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