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sus

sus

Titel: sus
Autoren: Unknown
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an.
    „Wenn Sie bitte...“
    Jetzt bin ich mit Unterbrechen
dran.
    „Ich muß Sonia Perowskaia sprechen“, sage ich.
    „Sonia...“
    „ Perowskaia .
Ja.“
    Ich schiebe Madame zur Seite
und betrete den Flur. Wütend folgt sie mir.
    „Wo ist sie?“ frage ich.
    „Aber... in ihrem Zimmer...
nehme ich an.“
    „Ich muß mit ihr reden.“
    Natascha mustert mich von oben
herab. Ihre herrischen Züge verschärfen sich noch. Dreist und verächtlich, mit
zusammengekniffenen Lippen. Ich schweige sie an. Und in diese feindliche,
gespannte Stille hinein, die nur von dem entfernten Gezwitscher der Vögel
gestört wird, fällt ein Schuß.
     
    * * *
     
    Sonia Perowskaia liegt mitten in ihrem Zimmer. An der Wand hängt eine Ikone. Sie hat ganze
Arbeit geleistet. In ihrer Hand hält sie immer noch den Revolver, mit dem sie
sich das Hirn verbrannt hat. Einen großkalibrigen Militärrevolver. Auf dem
Tisch liegt ein Brief.
     
    Niemand ist für meinen Tod
verantwortlich. Im vollen Bewußtsein meiner
Niedrigkeit scheide ich aus dem Leben, das mir immer eine Last war. Ich habe
das Vertrauen meiner Wohltäterin mißbraucht , habe
meine Ehre verloren. Gott sei meiner armen Seele gnädig.
     
    Neben dem Brief liegen zwei
rosafarbene Karten: Taverne du Brûlot ... fascinating girls ...“
    „Wußten Sie, daß...“ frage ich
Natascha.
    „Nein. Das wußte ich nicht“,
sagt sie und klimpert heftig mit den Wimpern. „Aber sie war hysterisch. Wir
hatten eine Diskussion... einen Streit...“
    „Worüber?“
    „Ich müßte Ihnen nicht
antworten. Erstens kenne ich Sie nicht, und zweitens geht es Sie nichts an.
Aber die arme Sonia hat es selbst in diesem Brief gestanden... Sie hat mich
bestohlen. Und unabhängig davon hat sie vor langer Zeit einen Beruf ausgeübt,
der... einen schändlichen, unehrenhaften Beruf. Als sie mir den Diebstahl
gestanden hat, hab ich mich nicht gerade darüber gefreut. Das ist doch wohl
verständlich. Ich bin nicht eben sehr zart mit ihr umgegangen. Aber ich konnte
doch nicht wissen...“
    Sie nimmt ein Taschentuch und
betupft sich die Augen. Wird wohl tatsächlich anfangen zu heulen. Möglich ist
alles. „Sie hätten sie davon abhalten können“, sage ich tonlos. „Abhalten? Aber
wie denn? Konnte ich ahnen...“
    Sie hebt resigniert die
Schultern und nähert sich dem Brief. Mechanisch spielt sie mit den rosa Karten.
Dann sieht sie mich an.
    „Was... was sollen wir...
sollen wir das hier liegenlassen?“ Ich nehm ihr die
Karten aus der Hand und stecke sie ein: „Die werf ich
weg. Hélène alarmiert die Flics . Werden gleich hier
aufkreuzen. Die müssen nicht alles wissen. Sonia Perowskaia hat sich umgebracht, weil sie keinen anderen Ausweg mehr sah. Sie hat Sie übel
belogen, betrogen und bestohlen. Und außerdem den Boden unter den Füßen
verloren. Na ja, die slawische Seele. Muß nicht jeder wissen, daß sie auf den
Strich gegangen ist. Niemand hat ein Recht, das zu wissen. Verstanden?“
    „Wie Sie meinen. Ich... Wie
tragisch!“
    „ Um so tragischer, weil Sie sie davon abhalten konnten.“
    „Ich versichere Ihnen...“
    „Sie hätten es müssen “, brülle ich sie an. „Ja, verdammt
nochmal! Sie hätten Sonia davon abhalten müssen !“
    Ich weiß nicht, ob sie das
kapiert.

15
     
    Glattrasiert, Zähne geputzt,
Pfeife im Mund (um den Zahnpastageschmack zu vertreiben),
begebe ich mich am nächsten Morgen gegen elf zusammen mit Hélène in Nataschas
Geschäft, Wäsche, Büsten- und Strumpfhalter aller Art. Als wir bei Richelieu- Drouot über die Straße gehen, überkommt Hélène ein kleiner
Schwächeanfall. Aber sehr schnell hat sie sich wieder unter Kontrolle und sieht
mich mit ihren schönen Augen an. Ich lächle ihr aufmunternd zu. Wie ein
jungvermähltes Paar stehen wir kurz darauf vor Natascha. Das Gesicht der Russin
ist wie immer hart, herrisch, aber abgespannt. Hat wohl keine geruhsame Nacht
hinter sich.
    „Ich möchte gerne mit Ihnen
unter vier Augen sprechen“, beginne ich. „Geht das?“
    „Natürlich“, sagt sie,
allerdings etwas überrascht.
    Wir gehen nach oben, wo wir vor
neugierigen Blicken und Ohren geschützt sind.
    „Was mich zu Ihnen führt“, sage
ich, nachdem wir in weichen Sesseln Platz genommen haben, „ist folgendes... Gestern abend wollte ich nicht
davon anfangen. Aus mehreren Gründen. Erstens waren Sie ziemlich durcheinander.
Zweitens hatten wir ständig einen Flic im Rücken. Und
drittens fällt mir auf dem Land nichts Schlaues ein. Das geht nur in Paris.
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