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Superdaddy: Roman (German Edition)

Superdaddy: Roman (German Edition)

Titel: Superdaddy: Roman (German Edition)
Autoren: Sören Sieg
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ich in einem überfüllten Einführungskurs in eine nutzlose Wissenschaft kennengelernt. Warum studierte sie nicht in Harvard oder Yale? Sondern in Hamburg? Der Fachbereich bestand aus acht wissenschaftlichen Assistenten, die sich über eine Sammelklage beim Arbeitsgericht zu Professoren gemacht hatten. Charlotte dozierte über Niklas Luhmann, trug eine Brille mit einem Balken, der ihre Augen fast verdeckte, und outete sich damit als Angehörige einer anderen Klasse. Sie hatte mit zwanzig schon die Belesenheit, Extravaganz, Urteilssicherheit und die schneidenden Ton, die nur ein Großbürgerkind haben kann. Die Simone de Beauvoir der Hamburger Soziologie. Ihr Vater war Topmanager bei dem Lebensmittelmulti, den man durch Miracoli kennt. Und das ist auch bis heute das Einzige, was Charlotte kochen kann. Die Kinder freuen sich darauf allerdings mehr als auf meine raffinierten Rezepte von Celia Brooks Brown bis Eckart Witzigmann. Charlottes Mutter gehören mehrere Mietwohnungsblocks in Bremen. Ich werde nie vergessen, wie ich in meinem Altonaer WG-Zimmer nackt mit ihr im Bett lag und sie mit ihren Eltern telefonierte. »Ich hab ’n neuen Freund«, sagte sie. »O Gott«, stöhnte ihr Vater, »aber hoffentlich keinen Stehaufkomiker aus einem Proll-Elternhaus.« Sie hatte auf laut gestellt, ich hatte mitgehört und erstarrte. »Erraten!«, gluckste sie und quiekte vor Lachen. »Genau das, Dad. Ein Stehaufkomiker aus einem Superproll-Elternhaus, wo es kein einziges Buch gibt, geschweige denn einen Bücherschrank. Sein Vater jätet hauptberuflich UNKRAUT! In einer BAUMSCHULE! Hörst du?« Sie prustete los. »Hey, Dad, bist du noch da? Philipp, jetzt sag doch auch mal was!« Sie war auf verquere Weise stolz darauf, nicht mit einem internationalen Hedgefondsmanager wie Max zusammen zu sein, sondern mit einem Kind der Arbeiterklasse. Dabei war nichts romantisch daran, aus einem ungebildeten Elternhaus zu stammen. Alles, was es einem bescherte, waren lebenslange Probleme mit dem Selbstbewusstsein und der Ortographie. Oder Orthographie?
    Mein Beruf war großartig. Gut, aus der Sicht von Charlottes Eltern war es überhaupt kein Beruf, sondern die Verlängerung des Klassenclowns mit denselben Mitteln. Ich liebte vor allem den Minimalismus, der meinen Job auszeichnete. Ich tat nichts weiter, als auf einer Bühne komische Geschichten zu erzählen. Ich brauchte keine Light-Show, keinen Dolby-Surround, kein Glitzerkostüm, kein Bühnenbild, kein NDR-Symphonieorchester und keine Roger-Cicero-Bigband. Ich brauchte nur meine Geschichte.
    Wo lag also das Problem, fragte ich mich, während ich mich auf dem lattenrostlosen Schlafsofa herumwälzte. Ich liebte meine Kinder. Ich liebte meine Frau. Ich liebte meinen Job. Aber alles zusammen war die Hölle. Es war ein Uhr nachts. Und Charlotte war immer noch nicht da.
    Linus hatte viel geweint, ich hatte ihn gedrückt und gesagt, wie tapfer er wäre und dass er bei mir auf dem Sofa einschlafen dürfe. Ich hatte ihm Siahamba vorgesungen, einen Waschlappen um seine Hand gewickelt und ein Kühlkissen aus der Tiefkühltruhe daran gehalten. Alle zehn Minuten hatte ich ein neues Kühlkissen aus der Tiefkühltruhe geholt, weil es sich permanent erwärmte, das war ja überhaupt das Grundproblem des Universums. Irgendwann war er eingeschlafen, ich hatte ihn noch eine Weile angeguckt im Dunkeln und ihn dann rübergetragen in sein Zimmer. Nicht, weil ich nicht gerne mit ihm eingeschlafen wäre. Sondern weil ich wusste, dass Charlotte, egal, wie spät sie käme, die Wohnzimmertür aufreißen, das Licht anschalten und übergangslos anfangen würde zu reden, als befänden wir uns seit Stunden in einer Unterhaltung. Damit hätte sie Lasse geweckt, dem daraufhin seine Verbrennung wieder eingefallen wäre und der Stunden gebraucht hätte, um wieder einzuschlafen. Punkt zwei für unsere Paartherapie. Wenn man sechzehn Jahre zusammen war, wusste man immer ganz genau, was der andere tun würde. Soziale Allergie nannte Charlotte das. Das psychische Immunsystem brach irgendwann zusammen und reagierte allergisch auf minimale Reize. Wobei das Hereinrauschen der betrunkenen Charlotte um ein Uhr nachts eher ein maximaler Reiz war.
    Noch auf dem Nachhauseweg war der erste Anruf von Ines gekommen. Hardy musste sie sofort angerufen haben. Ich hätte es nicht geschafft, mit Ines zu diskutieren, ich hatte sie klingeln lassen und das Handy ausgeschaltet. Jetzt war es zehn nach eins, und ich schaltete es wieder ein. Achtzehn
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