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Superdaddy: Roman (German Edition)

Superdaddy: Roman (German Edition)

Titel: Superdaddy: Roman (German Edition)
Autoren: Sören Sieg
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kommst, obwohl ich dir den Gefallen tue, dich hier auftreten zu lassen? Und glaub nicht, es läge an deinem Programm. Es liegt daran, dass deine Agentin auf der Freiburger Kleinkunstbörse fast mit mir ins Bett gegangen wäre, um diesen Deal zu kriegen.
    Ich nickte ihm zu, deutete mit dem Zeigefinger auf mein Handy und machte ihm Zeichen zu verschwinden. Aber er blieb einfach stehen. Ich sah, was er dachte. Diese Generation, dachte er, war iPhone-verseucht, mac-abhängig, regrediert zum Fötus in der Facebook-Fruchtblase. Zu keinem klaren Gedanken fähig.
    Er dachte das, weil er zu denen gehörte, die Charlotte die digital Deklassierten nannte. Ü-50-Aktivisten, die sich immer zur intellektuellen Elite gezählt hatten, aber heute nicht mal wussten, wie man eine Rundmail so verschickte, dass nicht alle Adressen für jeden sichtbar waren. Wenn sie überhaupt einen Mail-Account hatten.
    »Gleich!«, flüsterte ich. Und rammte ihm die Tür fast gegen die Nase.
    »Lasse, kannst du mir mal …«
    »Er hat sich die Hand verbrannt«, hörte ich plötzlich Linus’ Stimme. »Er wollte die Piccolini aus dem Ofen holen. Er ist mit der Hand voll gegen das Blech gekommen.«
    220 Grad. Oje. Das hatte er von mir. Wie oft hatte ich mich in meinem Leben schon verbrannt. Erst letzte Woche in einem Hotel in Düsseldorf. Das Halogenlicht hatte so merkwürdig geknispelt. Irgendwann war ich zur Lampe hin und hatte dagegengeklopft. Manchmal sind elektronische Geräte ja so, man klopft dagegen, und sie funktionieren wieder. Schon der erste Fingerspitzenkontakt hatte ausgereicht, dass ich blindlings ins Badezimmer gerannt war, zum Wasserhahn. Ich war erst gegen drei Uhr nachts eingeschlafen, mit der Hand in einem Glas mit eiskaltem Wasser.
    »Habt ihr die Hand unter kaltes Wasser gehalten?«
    Linus stöhnte. »Papa, wir sind nicht blöd.«
    Jetzt war wieder Lasse dran.
    »Papa, es war vor zwei Stunden. Es tut immer noch soo weh.«
    »Ich weiß, mein Spatz.«
    Schluchzen. »Kannst du kommen?«
    Das war das Schlimmste. Er sagte nicht: »Du musst kommen!« Dann hätte ich antworten können: »Tut mir leid, ich kann einfach nicht!« Nein, er fragte. So unendlich kleinlaut. Kleinleise. Obwohl ich mir sowieso schon wie der letzte Arsch vorkommen musste, dass ich noch hier saß, in dieser speckigen Künstlergarderobe. In einem Veranstaltungszentrum, das vor dreißig Jahren mal wichtig gewesen war. Um einer Karriere nachzuhecheln, die nie stattfinden würde.
    »Ich kann nicht, mein Spatzilein«, hörte ich mich sagen, »ich muss in dieser Sekunde auf die Bühne. Die Leute …«
    »Es tut so weh. Kannst du kommen?«
    »Halte die Hand immer unter kaltes Wasser! Leg einen Waschlappen mit Eiswürfeln drauf! Und in der Tiefkühltruhe in der untersten Schublade sind Kühlkissen, hörst du? Die soll Linus dir geben! Lasse?«
    »Kannst du nicht doch kommen?«
    So üben Kinder Macht aus. Das Prinzip der gesprungenen Schallplatte. Man kann es übrigens auch als Erwachsener einsetzen: »Räumst du bitte den Ranzen weg? Räumst du bitte den Ranzen weg? Räumst du bitte den Ranzen weg?« Wiederholen statt begründen. Es funktioniert. Wenn auch nicht so gut wie bei den Meistern dieser Kunst, unseren Kindern.
    »Nein, Lasse, es geht nicht.«
    Jetzt sagte er nichts mehr.
    »Ich leg jetzt auf, Lasse.«
    Schweigen.
    »Lasse? Ich lege auf, okay?«
    Noch so ein Trick von Kids. Sie geben nie ihr Einverständnis zu Dingen, die sie nicht wollen. Das zermürbt mich. Ich bin ein Konsensmensch, bei uns zu Hause hat es nie ein lautes Wort gegeben. Selbst als meine Mutter ausgezogen war, kein lautes Wort. Ich vertrage keinen Dissens. Aber ich musste jetzt auf die Bühne. Hardy wartete, die Zuschauer warteten. Ich legte auf. Geschafft. Ich hatte es getan. Obwohl Lasse weder »Okay« noch »Tschüs« gesagt hatte.
    Ich hätte gar nicht erst aufs Handy gucken dürfen. Ich hätte es nicht mal mitnehmen dürfen. Ich hatte einen Beruf, einen Vertrag, eine Verpflichtung. Ein eigenes Leben. Eigene Zuschauer. Charlotte war zuständig. Luna. Oder Charlottes Eltern. Ich brauchte jetzt einen freien Kopf. Ich richtete mich auf, streckte mich und verließ die Künstlergarderobe. Ich rannte fast in Hardy hinein, der wie eine Filzlaus direkt hinter der Tür gewartet hatte. Er nickte mir freundlich zu und ging direkt neben mir, wie ein Wärter, der einen Gefangenen zum Hofgang begleitet. Hielt er mich für akut fluchtgefährdet? Oder glaubte er, ich hätte den Weg zur Bühne vergessen?
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