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Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story
Autoren: Gary Shteyngart
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verschwinden, doch immer, wenn ich mich absetzen wollte, schaute sie in meine Richtung, warf mir beiläufig einen Rettungsanker hin. Vielleicht hatte sie selbst Angst vor dem Bildhauer und fürchtete, auf Knien in einem schwach beleuchteten Zimmer zu enden.
    Ich trank viel und beobachtete die ausladenden Versuche des Bildhauers, die gänzlich unbeeindruckbare Eunice Park zu beeindrucken. «Ich sag also zu ihr: ‹
Contessa
, Sie können in meinem Strandhaus in Apulien wohnen, bis Sie wieder auf die Beine gekommen sind.› Ich habe ja sowieso keine Zeit, an den Strand zu gehen. Die wollen, dass ich so einen Auftrag in Schanghai annehme. Sechs Millionen Yuan für zwei Arbeiten. Wie viel ist das – fünfzig Millionen Dollar? Ich sag zu ihr: ‹Nicht weinen,
contessa
, Sie gewiefte alte Schachtel. Ich war auch schon mal völlig pleite. Keinen
centavo
in der Tasche. Bin praktisch im Werfthafen von Brooklyn aufgewachsen. Das Erste, woran ich mich erinnere, ist ein Schlag in die Fresse. Bamm!›»
    Mir tat der Bildhauer leid, und das nicht nur, weil ich seine Chancen bei Eunice Park pessimistisch einschätzte, sondern auch weil mir aufging, dass er bald tot sein würde. Von einer seiner ehemaligen Geliebten hatte ich erfahren, dass sein fortgeschrittener Diabetes ihn bereits zwei Zehen gekostet hatte, und heftiger Kokainmissbrauch brachte seinen betagten Kreislauf an die Grenzen. In unserer Branche nannten wir solche Leute NK, nicht konservierbar, da die Lebensfunktionen schon so zerrüttet waren, dass sie durch Eingriffe nicht wiederhergestellt werden konnten, und psychische Anzeichen auf eine «extreme Todesbereitschaft/​-neigung» schließen ließen. Noch verzweifelter war seine finanzielle Situation: Ich zitiere wörtlich aus meinem Bericht an Chef Joshie: «Jährliches Einkommen 2,24   Mill. Dollar, Yuan-gekoppelt; Verbindlichkeiten, darunter Alimente/​Unterhalt, 3,12   Mill. Dollar; investierbare Vermögenswerte (ohne Immobilien) 22   Mill. Nordeuro; Immobilien 5,4   Mill. Dollar, Yuan-gekoppelt; Außenstände insgesamt 12,9   Mill. Dollar, nicht gekoppelt.» Mit anderen Worten: ein Schlamassel.
    Warum tat er sich das an? Wieso hielt er sich nicht von Drogen und anspruchsvollen jungen Frauen fern, verbrachte ein Jahrzehnt auf Korfu oder in Chiang Mai, flutete seinen Körper mit Alkalien und Biotechnologie, stoppte die Zufuhr von freien Radikalen, konzentrierte sich ganz auf die Arbeit, stockte sein Aktien-Portfolio auf, trainierte sich den Rettungsring von den Hüften, ließ sich die alternde Bulldoggenvisage von uns richten? Was hielt den Bildhauer hier, in einer Stadt, die sich nur als Erinnerung an die Vergangenheit eignete, was ließ ihn der Jugend nachsteigen,sich auf dicht behaarte Muschis und Teller voller Kohlenhydrate stürzen, warum schwamm er mit dem Strom in Richtung Auslöschung? In diesem hässlichen Körper, hinter den faulenden Zähnen, dem sauren Atem, steckte ein Visionär und Schöpfer, dessen plumpe Arbeiten ich gelegentlich bewunderte.
    Während ich den Bildhauer begrub, indem ich hinter den Sargträgern hermarschierte und seine wunderschöne Exfrau misamt den engelsgleichen Zwillingssöhnen tröstete, musterten meine Augen Eunice Park, jung, stoisch, flachbrüstig, die zu den selbstgefälligen Bemerkungen des Bildhauers nickte. Ich wollte die Hand ausstrecken und ihre hohle Brust berühren, die harten kleinen Warzen spüren, die, wie ich mir ausmalte, ihre Liebe zum Ausdruck brachten. Mir fiel auf, dass ihre scharf geschnittene Nase und ihre schmalen Arme leicht mit Feuchtigkeit überzogen waren und dass sie beim Trinken mit mir mithielt, Weingläser von vorbeischwebenden Tabletts nahm und sich ihre zusammengepressten Lippen lila färbten. Sie trug modische Jeans, einen grauen Kaschmirpullover und eine Perlenkette, die sie mindestens zehn Jahre älter wirken ließ. Das einzige Jugendliche an ihr war ein glatter weißer Anhänger – ein Kiesel fast   –, der so etwas wie ein brandneuer Miniatur-Äppärät zu sein schien. In einigen wohlhabenden Kreisen der transatlantischen Gesellschaft verschwanden zusehends die Unterschiede zwischen Alt und Jung, in anderen Kreisen lief die Jugend fast nackt herum, aber was war mit Eunice Park? Wollte sie älter oder reicher oder weißer wirken? Warum müssen attraktive Menschen überhaupt jemand anders sein als sie selbst?
    Als ich das nächste Mal hinsah, hatte der Bildhauer ihr die schwere Pranke auf die ätherische Schulter gelegt und drückte
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