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Sueße Versuchung

Sueße Versuchung

Titel: Sueße Versuchung
Autoren: Mona Vara
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stellte sich auf die Zehenspitzen und versuchte einen Blick durch die Fenster ins Innere zu werfen, sah aber bestenfalls einen Teil der Deckenmalereien. Ihre Mutter hatte ihr von einer Bibliothek erzählt, einem Speisezimmer und einem Salon. Oben waren die Räume für die Familie und ganz oben die Zimmer für die Dienstboten. Rechts vom Eingang sollte sich der Ballsaal befinden, in dem ihre Mutter Robert McIntosh kennengelernt hatte.
    Sophie ging neugierig weiter, bis sie den Hintereingang erreicht hatte. Er lag ein wenig tiefer als die Fenster des Erdgeschosses; vermutlich führte er in den Keller, und von dort gelangte man durch eine Treppe hinauf in die anderen Räume. Tante Elisabeths Haus war ähnlich angelegt. Sie rüttelte am Türknauf. Nichts.
    Endlich hatte sie wieder die Vorderseite des Hauses erreicht und trat zu Rosalind, die ihr zur Begrüßung ins Gesicht schnaubte. »Alles versperrt«, klagte Sophie enttäuscht.
    Vielleicht war es doch klüger, den Schlüssel zu suchen und dann wieder herzukommen. Sie wandte sich nochmals um, suchte ein letztes Mal die Fassade mit den Augen ab, und da entdeckte sie plötzlich links neben dem Eingang ein Kellerfenster, das einen Spalt offen stand. Das war ihr ja völlig entgangen!
    Gut, dass ihr Bruder ein Paar seiner Hosen hier gelassen hatte. Nicht ganz freiwillig – sie hatte sie ihm kurz vor seiner Abreise aus seiner Reisetasche gestohlen, gleich nachdem Tante Elisabeth ihr den schönen weiten schottischen Reitrock weggenommen hatte. Alle ihre anderen Kleider waren zu eng geschnitten, die Stoffe zu weich, und eigneten sich nicht dazu, im Sattel zu sitzen. Sie wären entweder gerissen, oder hätten Sophies Beine bis zur Hüfte hinauf freigegeben.
    Dazu kam noch die derbe Jacke, die sie selbst heimlich von daheim mitgeschmuggelt hatte, dann Stiefel, ein Hemd – ebenfalls von Malcolm entwendet – und schon sah sie mit dem unter einer Kappe versteckten Haar aus wie ein Bursche.
    Ihre Verkleidung war zwar nur oberflächlich, einem prüfenden Blick hätte der Junge nicht standgehalten, aber das machte nichts. Es ging ihr ja nicht darum, als Mann verkleidet durch die Gegend zu streunen, sondern bequem im Sattel zu sitzen. Und jetzt kamen die Hosen besonders hilfreich zur Geltung, auch wenn sie beim Bücken über dem verlängerten Rücken spannten. Aber in einem Rock hätte sie sich niemals durch ein Kellerfenster zwängen können.
    »Wirklich schade, dass Malcolm nicht mehr hier ist«, sagte sie zu Rosalind. Er hätte es, im Gegensatz zu Henry, nicht abgelehnt, mit ihr in diesem Haus zu stöbern. Und noch mehr bedauerte sie, dass Patrick nicht bei ihr sein konnte. Wie hervorragend hätte sie jetzt einen Gleichgesinnten brauchen können, und wie viel Spaß hätten sie miteinander gehabt! Vetter Henry dagegen war ein Langweiler und – auch wenn Sophie dieses Wort nie ausgesprochen hätte, zumindest nicht in seiner Hörweite und der seiner Mutter – mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit sogar ein Hosenscheißer, der sich nicht mal die Fingernägel schmutzig machen wollte. Auch diesbezüglich hätten Patrick und sie übereingestimmt.
    Sie griff nach dem Sack, den sie am Sattel befestigt hatte. Hier drinnen hatte sie Zunder und einige Kerzen. Gut, dass sie vorgesorgt hatte!
    Wieder beim Kellerfenster angekommen, legte sie die Kerzen neben sich, beugte sich hinab, stieß das Fenster weit auf und lugte hinein. Ein paar Spinnweben, viel Staub.
    Das Bergwerk war auch nicht heimeliger gewesen, und sie hatte sich trotzdem hineingewagt. Hier würde sie zwar ganz bestimmt kein Gold finden, aber vielleicht Familienschätze wie alte Kleider, Möbel, Briefe, Bücher. Sophie fieberte richtig vor Aufregung und Unternehmungslust.
    Sie hockte sich auf alle viere und steckte den Kopf weiter durch das Fenster hinein.
    Es war zwar düster, aber zum Glück hell genug, dass sie sehen konnte, wohin sie klettern musste. Gleich unter ihr war bequemerweise ein Schrank. Von dem Schrank war es nur ein großer Schritt zu einem Tisch und dann stand ihrer Expedition nichts mehr im Weg. Sie legte die Kerzen vorsorglich auf den etwa einen halben Meter unter dem Fensterbrett befindlichen Schrank und überlegte. Sollte sie mit dem Kopf voran hineinklettern? Oder zuerst mit den Beinen?
    * * *
    Edward Harrington hatte dieses Mal ohne besondere Absicht den Weg genommen, der an dem alten Marian Manor vorüberführte, und er wollte schon vorbeireiten, als er das Schnauben eines Pferdes hörte. Er lenkte seinen
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