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Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Süden und die Frau mit dem harten Kleid

Titel: Süden und die Frau mit dem harten Kleid
Autoren: Friedrich Ani
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würde eine Luke geschlossen und er hätte nicht mehr die Kraft, sich dagegen zu stemmen .
    Danach schlug er einen Weg ein, auf dem er verloren ging. Und seine Schwester ahnte dies. Auch sie, vermutete ich, hatte auf einmal Zweifel an allem, was Johann Farak betraf, besonders an seiner Arbeit, an seiner Kunst, und es war ihr klar, dass der Moment, in dem ihr Bruder etwas Ähnliches dachte, eine Katastrophe bedeutete, die er nicht überstehen würde.
    Und weil er, zum ersten Mal, an ihrem Geburtstag nichts von sich hören ließ und schon im vergangenen Jahr unheilvolle Andeutungen gemacht hatte, alarmierte sie die Polizei, anstatt vorher nach München zu fahren, um selbst herauszufinden, warum er sich nicht meldete .
    Wie wir bald erfuhren, war das Telefon in seiner Wohnung abgestellt, er hatte die Rechnungen nicht mehr bezahlt.
    Natürlich behielt ich meine Überlegungen für mich. Für eine Kriminalistin wie Sonja Feyerabend zählten Fakten oder zumindest plausible Vermutungen. Außerdem hoffte ich, Mathilda würde von sich aus anfangen zu sprechen.
    Und das tat sie dann auch, in einem italienischen Restaurant unweit des Hohenzollernplatzes, wohin wir sie zum Essen einluden.
    »Ich zahl selber«, sagte sie, kaum dass wir uns hingesetzt hatten.
    Ich sagte: »Das Essen zahlt der Staat.«
    »Vom Staat lass ich mich nicht einladen«, sagte sie .
    »Dann lade ich Sie ein, weil Sie Geburtstag haben«, sagte ich.
    »Das geht nicht.«
    »Es ist ein Geschenk«, sagte ich.
    »Ein Geschenk von uns beiden«, sagte Sonja.
    »Das kann ich nicht annehmen«, sagte Mathilda.
    »Versuchen Sie es!«, sagte ich.
    Dann kam der Kellner, und wir ließen die Diskussion fürs Erste sein.

3
    G eboren wurde dein Großvater in Es Salum, einem Dorf in der Nähe der Grenze zu Libyen, seine Eltern waren Fischer, besaßen aber auch einige Rinder, Schafe und Kamele, die sie mühevoll aufzogen und verkauften. Rashid war der einzige Sohn neben vier Töchtern, und es war der ausdrückliche Wunsch deiner Urgroßeltern, ihren Kindern eine Zukunft fern der Steppe zu ermöglichen und sie studieren zu lassen. So begann dein Großvater in Alexandria ein Studium der Zahnmedizin. Schon nach zwei Semestern stellte sich heraus, dass er ungewöhnlich begabt und wissbegierig war. Irgendwann, als ihm einer der Professoren mitteilte, er könne, wenn er sich traue, als Austauschstudent für ein Jahr nach Deutschland gehen, nahm er dieses Angebot sofort an .
    Und aus dem einen Jahr wurde fast ein ganzes Leben. Er heiratete und wurde Vater von zwei Kindern, Mathilda und Johann.
    »Er hätte uns gern arabische Namen gegeben«, erzählte deine Tante, »aber unsere Mutter wollte das nicht. Und sie setzte sich immer durch, solange sie zusammen waren, mein Vater und sie. Sie hatte ein leichtes Spiel, er lebte nur für seine Arbeit. Nach dem Studium arbeitete er zuerst in einer Dentalklinik, später trat er in eine Gemeinschaftspraxis ein und dann eröffnete er seine eigene Praxis. Damals wohnten wir schon in Münzing.«
    Im Gegensatz zu deinem Großvater entwickelte sich dein Vater nicht zu einem strebsamen und wissbegierigen Schüler, er hatte große Schwierigkeiten in der Schule, von Anfang an, er hatte keine Freude am Lernen, und still zu sitzen war für ihn eine Qual .
    »Unser Vater zwang ihn, eine Stunde regungslos auf einem Stuhl zu sitzen«, sagte Mathilda. »Und Johann hat es getan. Das war eigenartig, denn hätte meine Mutter ihn dazu gezwungen, hätte er sich geweigert. Vor ihr hat er keinen Respekt gehabt, sie war es auch, die ihn geschlagen hat. Mein Vater hat ihn nie geschlagen, niemals, er hat weder Johann geschlagen noch mich. Aber er war autoritär, er hatte eine laute Stimme und manchmal, wenn er abends in unser Zimmer kam, weil wir das Licht zu lange anhatten, brauchte er nur dazustehen und uns anzusehen. Das hat genügt. Sofort knipsten wir die Lampe aus und verkrochen uns unter der Bettdecke. Er schaffte das. Unserer Mutter gehorchten wir nur, wenn wir Lust dazu hatten. Es war wie ein Spiel, wie eine geheime Abmachung zwischen uns, wir ärgerten sie und dann warteten wir ab, was passierte. Schon mit fünf oder sechs Jahren haben wir begriffen, wie sie funktionierte .
    Ja, wie ein Computer hat sie funktioniert, den man vorher genau programmiert hat. Immer gleich. Wir wussten, in welcher Stimmung sie war, wir konnten genau einschätzen, ob sie an diesem Tag nur herumschreien und mit den Türen schlagen oder ob sie uns angreifen würde .
    Ob sie
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