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Süden und das Lächeln des Windes

Süden und das Lächeln des Windes

Titel: Süden und das Lächeln des Windes
Autoren: Friedrich Ani
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den Hals gewickelt und eine Eukalyptusaura, sie hustete ständig, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen, die darin bestand, pausenlos auf die Tastatur ihres Computers einzuhacken, vermutlich, um möglichst schnell fertig zu werden und nach Hause gehen zu können. Ihre Stirn glänzte von Schweiß, und ich fragte mich, ob er von ihrem hektischen Schreiben kam, das nicht enden wollte, oder ob sie sich in einer Art Grippedelirium befand. Mehrmals hatte ich versucht sie anzusprechen, aber sie reagierte nicht, es schien, als würde sie mich nicht hören, als würde sie niemanden hören oder etwas wahrnehmen.
    »Herr Süden?«
    »Ja?«
    »Ich muss Sie dringend sprechen.«
    »Worum gehts denn…« Ich sah auf den Block mit dem Namen, den mir Erika Haberl, die Sekretärin der Vermisstenstelle, durchgegeben hatte. »… Frau Berghoff.«
    »Das möcht ich am Telefon nicht sagen.«
    »Können Sie ins Dezernat kommen?«, fragte ich.
    »Ich kann hier nicht weg«, sagte sie. »Zwei Mitarbeiter sind krank, ich muss an der Rezeption bleiben. Bitte, Herr Süden…«
    Ich sagte: »Sie arbeiten in einem Hotel.«
    »Hotel ›Aurora‹ in Schwabing.«
    »Das kenne ich.«
    »Bitte kommen Sie!«
    »Nein«, sagte ich.
    Wieder verstummte sie. Ich beobachtete Sonja, die anscheinend an einem imaginären Tippwettbewerb teilnahm, ihre Finger hackten und zuckten, ihre braunen halblangen Haare klebten ihr im Nacken, so stark schwitzte sie, und sie hatte rote Flecken im Gesicht.
    »Sonja?«
    Ihre Hand huschte zur Maustaste, dirigierte sie, flitzte zurück und das Klacken ging weiter. Sonja musste blinzeln, weil ihr Schweiß in die Augen rann.
    »Ich heiß Susanne.«
    »Bitte?«, sagte ich.
    »Ich heiß Susanne Berghoff«, sagte die Frau am Telefon , »nicht Sonja.«
    »Ja«, sagte ich und hörte am Ende der Leitung ein Telefon klingeln und verschiedene Stimmen.
    »Ich hab neue Gäste«, sagte Frau Berghoff. »Ich ruf gleich noch mal an. Sie müssen mir helfen, Herr Süden. Ich hab viel über Sie gelesen…«
    »Wer ist verschwunden, Frau Berghoff?«, sagte ich.
    »Niemand«, sagte sie und legte auf.
    »Fertig!« Sonja schnippte mit den Fingern und sah mich aus glasigen Augen an.
    »Schleichen Sie sich!«, sagte ich. »Gehen Sie ins Bett!«
    »Alle Widerrufe erledigt«, sagte sie, als habe sie mich nicht verstanden. »Die Kollegen vom LKA haben keinen Grund mehr uns anzuschnauzen.« Sie betrachtete ihren Computer wie eine Trophäe. Und tatsächlich beugte sie sich vor und lächelte das Ding an. Sie grinste nicht, sie lächelte, als säße dort ein Mensch, der gemeinsam mit ihr Großes vollbracht hatte.
    »Sehr gut«, sagte ich.
    »Was?«, sagte sie.
    »Soll ich Sie nach Hause fahren?«
    »Nein.« Sie stand auf, schwankte und hielt sich an der Stuhllehne fest. »So ein Mist! Mir ist schwindlig. Außerdem verdurste ich gleich.«
    Ich goss Mineralwasser in ein Glas und reichte es ihr. Sie trank es in einem Zug aus.
    »Schaffen Sie es allein?«, fragte sie. Ich sagte: »Was genau?«
    Sie holte Luft, zog ihren Mantel an, nahm die Umhängetasche vom Stuhl und sah sich um, als habe sie vergessen, wo sich die Tür befand.
    »Ich kann Sie in Ihrem Wagen nach Hause fahren«, sagte ich. »Und dann nehme ich ein Taxi zurück.«
    »Ich fahr selber!«, sagte sie etwas zu laut, was sie aber nicht zu bemerken schien.
    »Gute Besserung«, sagte ich.
    Sie zog den Mantel enger zu und wickelte den Schal noch fester um den Hals. Es war nicht zu übersehen, dass sie gleichzeitig fror und schwitzte.
    Als sie auf den Flur hinaustrat, kam ihr, mit dunklen Tränensäcken im knochigen Gesicht, mein Freund und Kollege Martin Heuer entgegen, eingehüllt in eine türkisfarbene Daunenjacke.
    »Servus«, sagte er und hielt Sonja die Glastür auf, die ins Treppenhaus führte.
    »Hallo«, sagte Sonja mit magerer Stimme.
    »Bist krank?«, fragte er.
    Sie antwortete ihm nicht. Martin und ich sahen ihr hinter der Glastür zu, wie sie auf den Lift wartete und dann, weil es ihr zu lange dauerte, mit vorsichtigen Schritten die Treppe hinunterging, die Hand ums Geländer geklammert wie eine gebrechliche Frau.
    »Die hats sauber erwischt«, sagte Martin. Er kam von einer Vernehmung in einem Vermisstenfall, von dem wir nicht annahmen, dass er uns lange beschäftigen würde.
    Es ging um einen Mann, der eines Nachts nicht nach Hause gekommen war, die Familie befand sich in Aufruhr und bildete sich die fürchterlichsten Dinge ein, während wir schon nach den ersten Gesprächen von einer
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