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Süden und das Lächeln des Windes

Süden und das Lächeln des Windes

Titel: Süden und das Lächeln des Windes
Autoren: Friedrich Ani
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schaffen, an denen ungefähr vierzigtausend Kandidaten aus ganz Deutschland teilnahmen. Bevor er arbeitslos wurde, war Hajo Berghoff Abteilungsleiter in einer Filiale von CompuLine gewesen, einer Kette von Spezialgeschäften für Hard und Software, Netzwerkinstallationen, elektronische Archivierungen, EDV-Technologien und eine Reihe von Serviceleistungen. Vor acht Monaten war die Münchner Filiale geschlossen worden. Alle Versuche Berghoffs, auf seinem Fachgebiet einen anderen Job zu finden, scheiterten, er fand keine Firma, die neue Leute einstellte.
    »Er ist so gut«, sagte seine Frau, »er kann Ihnen die kompliziertesten Dinge auf dem Computer erklären, es gibt Kunden, die rufen immer noch bei ihm an, weil sie seine Hilfe brauchen. Aber davon können wir natürlich nicht leben. Außerdem will er wieder richtig arbeiten, zehn, zwölf Stunden am Tag, das braucht der, da blüht er auf, da ist er in seinem Element.«
    Sie hatte zur Tür gesehen und den Kopf geschüttelt, als müsse sie sich mit Nachdruck daran erinnern, dass es im Moment um etwas anderes ging.
    »Sie können ihn anrufen«, sagte sie jetzt. »Aber Sie werden ihn nicht erreichen. Er schaltet sein Handy natürlich ab. Er weiß auch nicht mehr als ich. Ehrlich.«
    Martin schrieb etwas auf den Block, den er vor sich liegen hatte.
    Dann sah er die Frau an. »Ich frag Sie noch mal: Warum wollen Sie Ihren Sohn nicht als vermisst melden? Warum haben Sie keine Angst, dass ihm was zugestoßen sein könnte, wieso…«
    »Aber ich hab ja Angst!«, sagte sie laut zu mir.
    »Deswegen hab ich Sie ja angerufen, Sie finden doch die Leute immer, Herr Süden…«
    »Ihr Sohn ist neun«, sagte ich und ging zum Tisch. Vielleicht brachte mich die Bewegung etwas in Schwung.
    »Er ist heute Nacht nicht nach Hause gekommen, Sie rufen bei uns im Dezernat an, Sie machen sich Sorgen…«
    »Ja, ja!«, sagte sie, den Blick starr auf mich gerichtet.
    »… und wir sind hier, Frau Berghoff. Und jetzt reden Sie offen mit uns, sagen Sie uns, was Sie vermuten, sagen Sie uns, warum Sie nicht wollen, dass Ihr Mann von all dem erfährt, sagen Sie…«
    »Das stimmt doch gar nicht!« Wieder rieb sie nervös den Finger am Daumen und zog die Stirn in Falten, während sie den Tisch anstarrte. »Ich hab ihm nicht… Er hat keine Zeit für so was, er muss diesen Job kriegen und das schafft er auch. Das schafft er auch! Er schafft das!«
    »Ja«, sagte ich.
    Mit einem Ausdruck tiefer Erschöpfung sah sie mich an.
    »Herr Süden…« Sie stockte wie am Anfang unseres Besuchs, als sie von ihrem Jungen erzählte und nach jedem halben Satz eine Pause machte, als wolle sie abschätzen, ob sie womöglich schon zu viel preisgegeben hatte.
    »Ja?«, sagte ich.
    »Könnt ich… entschuldigen Sie…« Sie hatte sich für eine Sekunde an Martin Heuer gewandt. »Könnt ich Sie… Ich würd gern mit Ihnen allein sprechen, Herr Süden, geht das? Ist das möglich? Ich hab… Das ist nicht gegen Sie…« Diesmal sah sie meinen Kollegen etwas länger an.
    »Warum?«, sagte ich. »Ich berichte ihm sowieso alles, wir arbeiten zusammen. Sie können ihm ebenso vertrauen wie mir, Frau Berghoff.«
    »Das weiß ich«, sagte sie. »Ja, ja… Es wär mir nur lieber… egal…«
    »Das ist kein Problem«, sagte Martin und stand auf und steckte seinen Block ein. »Ich warte drüben im Café.« Er verließ das Zimmer. Ich blieb am Tisch stehen. Susanne sah zu mir herauf.
    »Möchten Sie sich nicht hinsetzen?«, sagte sie. Ich sagte: »Ich stehe lieber.«
    Ich machte einen Schritt zur Wand und lehnte mich vorsichtig an.
    Susanne Berghoff verfolgte jede meiner Bewegungen. Allmählich ärgerte mich ihre Verzagtheit, entweder sie fing endlich an die Wahrheit zu sagen, oder ich würde gehen. Ich wurde fürs Suchen bezahlt, nicht fürs Vielleichtsuchen. Nur weil sich anscheinend herumgesprochen hatte, nicht zuletzt durch Berichte in den Zeitungen, die nach einigen Vermisstenfällen erschienen waren und in denen ich zwangsweise und ungefragt vorkam, dass ich jemand sei, »mit dem man reden konnte«, fand ich noch lange kein Vergnügen daran, in engen Zimmern herumzustehen und jemandem die Beichte abzunehmen.
    Es stimmte, zuhören fiel mir leichter als reden, ich übte Schweigen seit meiner frühen Jugend, und während der zwölf Jahre meiner Arbeit in der Vermisstenstelle hatte ich gelernt, Stunde um Stunde Lügnern zuzuhören.
    Offenbar hatte ich tief in mir ein Reservoir an Geduld, das auf eine für mich manchmal
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