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Sturz der Tage in die Nacht

Sturz der Tage in die Nacht

Titel: Sturz der Tage in die Nacht
Autoren: Antje Rávic Strubel
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interessierte, und der Redakteur hätte bloß das Büro nicht gefunden.
    Als der Name Feldberg fiel, änderte sich das.
    Als der Name Feldberg fiel, war ich dabei, für alle Kaffee zu machen. Sie waren zu dritt, ein Kameramann, ein Fotograf und eine Reporterin. Ich hatte die Espressomaschine angestellt. Ich wollte uns die Zeit vertreiben, bis Inez angezogen wäre und sie mit ins Museum nehmen würde, um eine Belehrung mit ihnen zu machen.
    Heute ist mir klar, dass ich noch nicht ganz zurück gewesen sein konnte, noch fern war, in unserer gemeinsamen Trance, und irgendwie das Falsche dachte und nicht auf das kam, was jetzt richtig gewesen wäre. Es schien eine kosmische Entfernung zu sein, ich war so weltvergessen, dass ich die Fragen dieser Reporterin zuerst nicht begriff.
    »Das ist Hausfriedensbruch«, sagte ich zu dem Fotografen, der sich einen Hocker unter den Hintern geschoben hatte und laut daran herumrätselte, warum Schiffe und Inseln die zivilisatorischen Grundregeln so leicht außer Kraft setzen konnten. »Das ist Ihnen doch klar.«
    Er grinste mich an. »Tür war offen.«
    Ich füllte Kaffeebohnen nach und stellte die mittlere Mahlstufe ein. »Das ist in Schweden trotzdem keine Einladung.«
    Er kratzte sich unter dem Fotogurt am Hals. »Na ja«, sagte er. »Hausfriedensbruch aber auch nicht.«
    Ein Kameramann hatte sich hinter dem Tresen verschanzt. Ich sah ihn erst, als die Reporterin, die mir ein Mikrophon hinstreckte, ihm ein Zeichen machte. »Haben Sie vor, Ihren Vater im Wahlkampf zu unterstützen?«
    »Und wenn«, sagte der Fotograf, »dann geht das auf Feldbergs Konto. Nicht auf meins. Krieg ich trotzdem einen Kaffee? Fragen Sie mich ruhig, ob mit Milch und Zucker.«
    »Betrachten Sie sich als ein Opfer der SED -Diktatur?«, fragte die Reporterin.
    »Ich nehm ihn mit Tasse«, sagte der Fotograf triumphierend.
    »Hat die Vergangenheit Ihrer Mutter, ich meine damit speziell die Ausreise, einen Einfluss auf Ihre Entscheidung gehabt?«
    Die Fernsehfrau gab dem Kameramann wieder ein Zeichen. »Sie wissen, dass Ihre Mutter Sie gegen den Willen Ihres Vaters weggegeben hat. Dass sie ihm jahrelang jede Information verweigerte?«
    »Feldberg hat sich schlau gemacht. Nicht ich«, sagte der Fotograf, und die Reporterin sagte zu ihm:»Sie halten jetzt mal die Schnauze!« Sie schob ihr Mikrophon noch näher an mich heran. »Ihre Mutter wollte Sie loswerden, um in den Westen zu gehen. Fühlen Sie sich nicht um Ihre Kindheit betrogen?«
    »Meine Wenigkeit macht hier nur die Bilder«, sagte der Fotograf.
    »Sie wissen, dass ich von Inez Rauter spreche? Die Frau, die Sie als Baby verstoßen hat? Hat es Sie nicht schockiert, mitten im Techtelmechtel zu erfahren, dass Sie es gerade mit Ihrer Mutter treiben?« Bei diesen Worten wischte ich ihr das Mikrophon beiseite.
    »Und wenn schon«, sagte der Fotograf. »Hausfriedensbruch ist doch Pillepalle.«
    Ich hörte noch einmal den Auslöser klicken, sah uns nackt im Bett und hatte mich nicht mehr im Griff. »Raus!«, brüllte ich. »Alle raus hier!«
    »Heißt das, es ist Ihnen egal? Sie wollen Ihr Verhältnis ausleben?«, sagte die Reporterin. »Wie fühlen Sie sich als Geliebter Ihrer Mutter?«
    Wäre Inez in diesem Moment nicht aus dem Schlafzimmer gekommen, hätte ich vielleicht zugeschlagen, ich hätte dem ersten, der vor mir stand, ins Gesicht geschlagen, der Reporterin, die sagte
Sie wissen, dass das strafbar ist?,
oder dem Fotografen, der groß und kräftiger war als ich, mitten in die Fresse, und es wäre Feldbergs Fresse gewesen,
scheiß Chorkind, jetzt gibt’s was aufs Maul!
    Inez drängte sich schweigend durch. Sie riss die Hüttentür auf und forderte die drei so unmissverständlich auf zu verschwinden, dass auch der riesenhafte Fotograf schließlich gehorchte. »Schon gut, Miss«, sagte er im Gehen. »Meine Wenigkeit hat mit der Geschichte ja nix zu tun.«
    »Keiner von euch hat das«, sagte Inez scharf.
    Die Espressomaschine mahlte noch immer. Ich stellte sie aus.
    »Gib mir einen«, sagte Inez. »Schwarz.«
     
    Feldberg war in der Hütte nicht dabei gewesen. Am Nachmittag sah ich ihn im Café. Er hatte eines der Baguettes mit halb aufgetauten Krabben vor sich, die der Koch in aller Eile fertig gemacht hatte. Er saß allein an einem Tisch am Fenster. Als er mich bemerkte, stand er auf und drehte ab in Richtung Toilette, bevor ich ihm sein Baguette ins Gesicht klatschen konnte. Der Fotograf riss sofort die Kamera hoch. Ich hielt mir die Hand vors Gesicht,
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