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Sturmwelten 01

Sturmwelten 01

Titel: Sturmwelten 01
Autoren: Christoph Hardebusch
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in der Welt wahrnahmen, die sie umgab.
    »Sie zerreißen ihren Leib! Sie reißen den Schatz heraus, sie zerstören, hacken, töten!«, schrie es und öffnete seinen zahnlosen Mund zu einem Seufzen, dessen Schmerz die Frau wie ein Mantel einhüllte. Das Wesen erbebte wie unter Krämpfen, und kleine Wellen brachen sich am Rand des Beckens im Rhythmus seiner Bewegungen.
    »Sprich«, befahl die Besucherin leise, die merkte, wie sich eine Woge von Übelkeit in ihr ausbreitete.
    »Wo die Sonne sich über das Rund erhebt. Schmutzige Hände stehlen ihren Schatz. Blutige Hände.«
    »Mehr!«
    Doch die Kreatur schwieg. Es war sinnlos, zu befehlen, und die Frau wusste das. Schon schloss das Geschöpf die Augen, und der Leib versank weiter im Wasser.
    Die Frau wandte sich schließlich ab und versuchte augenblicklich, den beunruhigenden Anblick in die hintersten Winkel ihres Geistes zu verbannen. Die Worte waren rätselhaft gewesen wie stets, denn das Wesen hatte Visionen, die es selbst weder steuern noch kontrollieren konnte. Doch der alte Mann würde sie deuten können.
    Die Schreie und das Seufzen hatten die Frau aufgeschreckt; für gewöhnlich flüsterte das Wesen nur. Einen Moment noch fragte sie sich, was dies zu bedeuten habe, doch dann verließ sie die Kammer und kehrte zurück in das unmögliche Licht der Kaverne. Vielleicht war dies der Moment, auf den der alte Mann so lange gewartet hatte.
     
    Der Schatten der Besucherin blieb zurück, denn in der Kaverne konnte es keine Schatten geben, und er schien ihre Furcht bei sich behalten zu haben. In dem Bassin öffnete das Wesen erneut die Augen. Tanára. Das war mein Name. Einst. Ihr irrender Blick fiel auf den Schatten, und das Echo eines hohlen Lachens füllte die Kammer.

JAQUENTO

    Die Hitze lag noch über dem kleinen Städtchen, obwohl die Sonne schon lange untergegangen war. In den Gassen stand die schwüle Luft und trieb Jaquento den Schweiß auf die Haut. Auf See hatte es einen stetigen, kühlenden Wind gegeben, nur an Land schien dieser unvermittelt abzuflauen, selbst in einer Küstenstadt wie Portosa.
    Einer der häufigen Regenschauer hatte die festgetretene Erde der Wege aufgeweicht und überall auf dem Boden kleine Bäche entstehen lassen; in den Rinnsalen schwamm allerlei Unrat mit, der sich in den Gassen angesammelt hatte. Die Frische des Schauers war längst verschwunden, dafür hing der süße Duft der vielen Blüten in der Luft, in dem eine Note von Verfall und Fäulnis mitschwang.
    Hier und da lagen menschliche Gestalten auf dem Boden, manche unter schmalen Vordächern, andere einfach zwischen den geduckt wirkenden Holzhäusern. Kaum ein Gebäude hatte mehr als ein Stockwerk, überall blätterte die bunte Farbe ab, und das darunterliegende Holz quoll durch die ewige Feuchtigkeit auf. So wirkte das Städtchen wie eine in die Jahre gekommene Schauspielerin, deren Schminke längst verlaufen war und die dennoch im Abglanz besserer Zeiten schwelgte.
    Am Hafen zeugten noch einige alte Prachtbauten vom vergangenen Ruhm der Stadt, doch auch diese waren mittlerweile schutzlos der Witterung ausgesetzt und moderten vor sich hin. Was hier eine Hauptstadt genannt wurde, wäre in Jaquentos Heimat nicht mehr gewesen als ein kaum beachtetes Fischerdorf. Um diese späte Stunde waren die Straßen – oder das, wann man hierzulande dafür hielt – nahezu verwaist. Lediglich einige einheimische Nachtschwärmer und Matrosen auf Landgang kreuzten seinen Weg.
    Vorsichtig ging Jaquento weiter, sorgsam darauf bedacht, dem gröbsten Schmutz auszuweichen. Sein Blick wanderte umher, suchte in der ungewohnten Gegend nach Vertrautem. Ein nagendes Gefühl der Unsicherheit begleitete ihn, seit er Portosa betreten hatte. Er schob es auf das fehlende Schaukeln des Bodens; an Bord hatte er sich an die stetige Bewegung der See gewöhnt. Doch das Schiff war ohnehin nur kurz Heimstatt gewesen, nicht Ziel, sondern Übergang, und nun musste er sich fragen, wohin sein weiterer Weg ihn bringen sollte.
    Endlich erreichte er ein niedriges Haus mit breiter Front, hinter dessen milchigen Fensterscheiben noch Lichter brannten. Gemurmel drang aus dem Gebäude, übertönte fast die Geräusche des nahen Urwalds, in dem zu dieser nächtlichen Stunde allerlei fremdartiges Getier rief, schrie und kreischte. Ein Schrei war noch durchdringender als der Rest des Konzertes, hielt lange an und ließ Jaquento aufblicken. Er fragte sich unwillkürlich, ob die Geschichten über Feuerechsen und fliegende Schlangen,
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