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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition)
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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hoch, als wollte er sie an den Mund setzen, und stellte sie dann doch wieder ab. Seine Hand zitterte. »Ich habe keine Ahnung, was mit den Ibeji geschehen ist«, bekannte er. »Ich hatte sie in den Hosentaschen. Aber als wir in Marsa Matruh landeten, muss ich wohl kurz ohnmächtig geworden sein …« Dirk starrte in die schwarze Flüssigkeit in der Tasse. »Danach waren sie weg.« Er sah wieder hoch. »Woher hast du sie?«
    »Sie wollten zu mir.« Noah bückte sich und kramte in der Tasche. Dirk wurde nervös. »Du musst sie nicht herausholen«, sagte er hastig. »Die eine ist doch sowieso kaputt.«
    »Shimeru hat es mir all die Jahre über immer wieder eingetrichtert«, drang Noahs Stimme dumpf unter dem Tisch hervor. Im Geklapper und Geplapper in der Cafeteria ging sie beinahe unter. »Er sagte, dass es ein ganz besonderer Ort sein würde, an dem sich meine Schwester und ich zum ersten Mal begegnen würden. Ein Ort der Entscheidung.«
    Sein Kopf ruckte wieder hoch, dann stellte er erst die eine und dann die andere Zwillingsfigur vor sich auf den Tisch. Beide waren unversehrt.
    Dirk starrte sie sprachlos an. Er zweifelte an seinem Verstand. Die schwarze Ibeji, die Akuyi symbolisierte, war genau wie die weiße nur eine Handspanne groß. Aufs Feinste bearbeiteter Walfischknochen, sorgfältig geschwärzt und poliert. Die Hände, die Finger, jede noch so filigrane Struktur war unversehrt erhalten.
    »Du hast zu Ende gebracht, was Shimeru begonnen hat«, sagte Noah ernst. »Du hast uns zusammengebracht. Hättest du nicht so beharrlich nach Akuyi gesucht, wärt ihr niemals in das Dämonental gelangt. Und dann wäre alles anders ausgegangen. Der Sturm hätte ungehindert getobt, Millionen von Menschen wären gestorben. Und wir mit ihnen.«
    »Aber …« Dirk räusperte sich. Er streckte die Hand nach der schwarzen Figur aus, ließ sie dann jedoch sinken. »Wie kann das sein? Die schwarze Figur … Akuyis Abbild … sie ist doch zerbrochen!«
    »Wohl kaum.« Noah warf einen Blick in die Runde. Die Gespräche und das Gelächter um sie herum waren keineswegs verstummt, und doch schien es, als breitete sich plötzlich auf eigenartige Weise Ruhe aus.
    Ohne Hast griff Noah nach den beiden Figuren und verstaute sie wieder in der Reisetasche. »Akuyi war in Not. Und das hat sich auf die Ibeji übertragen. Mehr hast du nicht gespürt.«
    Mehr hast du nicht gespürt? Dirk hätte beinahe laut gelacht. Das war eine maßlose Untertreibung. Es war ein scharfer, feuriger Schmerz gewesen, der sich von Akuyis Seelendouble auf ihn übertragen hatte, ein Schmerz, der ihn an Ort und Stelle festgenagelt hatte, sodass er nach der fürchterlichen Schießerei in den Hangar und zu seiner Tochter gelangt war.
    »Ich verstehe das alles nicht.«
    »Ja.« Noah verschränkte die Hände hinter dem Nacken und lehnte sich so weit wie möglich zurück. In seinem mit einem Pharaonenkopf bedruckten T-Shirt und mit den frisch gewaschenen und sorgfältig gekämmten Haaren sah er wie ein x-beliebiger deutscher Sechzehnjähriger aus, der in Ägypten Badeurlaub machen wollte. »Ich fürchte, ich werde auch so einiges nicht verstehen, wenn ich euch nach Deutschland begleite. Zum Beispiel die sonderbaren Riten eurer Bürokraten.«
    »Von welchen Riten sprichst du?«, fragte Dirk irritiert.
    Noah grinste breit. »Du hast mir doch selbst von dem ganzen Schriftkram erzählt, der zu erledigen ist, bevor die deutschen Behörden mich als deinen Sohn anerkennen.«
    Dirk verzog das Gesicht. »Allerdings. Das ist tatsächlich etwas, auf das ich mich nicht gerade freue. Aber wir werden das schon durchstehen.«
    »Schließlich haben wir ja schon ganz andere Dinge geschafft, nicht wahr?«
    »Und ob. Das haben wir. Und wir werden uns von nichts und niemandem aufhalten lassen – weder von deutschen Bürokraten noch von afrikanischen Dämonen.« Mit entschlossenem Gesichtsausdruck führte Dirk die Kaffeetasse an die Lippen.
    Der Kaffee war wirklich bitter. Zu bitter. Dirk ließ die Tasse sinken, wollte nach dem Zuckerstreuer greifen – und erstarrte mitten in der Bewegung.
    Die Tür der Cafeteria schwang auf, und Kinah und Akuyi betraten den verwinkelten Raum. Ihre Blicke schweiften über die Tische.
    Dirk stellte die Tasse hastig ab und beugte sich zu Noah. »Nur ganz schnell«, flüsterte er, »bevor die Frauen kommen. Glaubst du wirklich, dass Shimeru mit all dem recht hatte, was er über die Entstehung des Sturms gesagt hat?«
    »Aber natürlich«, gab Noah genauso leise
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