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Stufen: Ausgewählte Gedichte

Stufen: Ausgewählte Gedichte

Titel: Stufen: Ausgewählte Gedichte
Autoren: Hermann Hesse
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Terrasse dich gebrüstet,
Schlank, achtkantig, zierlich, kühn, kokett,
Feste wurden oft in dir gerüstet,
Jagdtrunk, Vogelessen und Bankett.
Jetzt im groß gewordenen Walde stehst du
Klein, verloren fast und sehr geheim,
Mit verblichenem Farbenzauber wehst du
Lächelnd Wehmut wie ein alter Reim,
Der einst jung und frech und wild geklungen,
Heut altväterisch tönt und Rührung weckt;
Eingesunken in Erinnerungen
Stehst du, und die Abendsonne leckt
Müd an deinen rostigen Gitterstäben,
Deinen spitzen Bogen, deinem Dach;
Deinen schmucken Formen hingegeben,
Sinnst du den verklungenen Festen nach.
So wird uns zu Sinn beim Wiedergrüßen
Einer Jugendliebe, deren Haar
Weiß geworden, deren einst so süßen
Mädchenzügen still und wunderbar
Sich die Todeslinien eingeschrieben,
Daß wir sie, bewegt, noch einmal lieben,
Sie und das Unsägliche, das einst war.

M ORGENSTUNDE IM D EZEMBER
    Regen schleiert dünn, und träge Flocken
Sind dem grauen Schleier eingewoben,
Hängen sich an Zweig und Drähte oben,
Bleiben unten an den Scheiben hocken,
Schwimmen schmelzend in der kühlen Nässe,
Geben dem Geruch der feuchten Erde
Etwas Dünnes, Nichtiges und Vages,
Und dem Tropfenrieseln die Gebärde
Eines Zögerns, und dem Licht des Tages
Eine kränkelnde, verdrossene Blässe.
In der morgenblinden Scheiben Zeile
Dämmert da mit rosig warmem Schimmer
Einsam noch ein Fenster nachtbeleuchtet.
Eine Krankenschwester kommt, sie feuchtet
Sich mit Schnee die Augen, eine Weile
Steht und starrt sie, kehrt zurück ins Zimmer.
Es erlischt der Kerzenschein, und grauer
Dehnt sich in den bleichen Tag die Mauer.

F ÖHNIGE N ACHT

    Schaukelt im wehenden Föhnwind der Feigenbaum
Wieder wie Schlangen wirr die gewundenen Äste,
Steigt übers kahle Gebirg zu einsamem Feste
Vollmond empor und beseelt mit Schatten den Raum,
Spricht zwischen gleitenden Wolkenschiffen der Lichte
Träumerisch mit sich selber und zaubert die Nacht
Über dem Seetal still zum Seelenbild und Gedichte,
Daß mir im Herzen zuinnerst Musik erwacht,
Dann erhebt sich in drängender Sehnsucht die Seele,
Fühlt sich jung und begehrt ins flutende Leben zurück,
Kämpft mit dem Schicksal und ahnt, woran es ihr fehle,
Summt sich Lieder und spielt mit dem Traume vom Glück,
Möchte noch einmal beginnen, noch einmal der fernen
Jugend heiße Gewalten beschwören ins kühlere Heut,
Möchte wandern und werben und bis zu den Sternen
Dehnen der schweifenden Wünsche dunkles Geläut.
Zögernd schließ ich das Fenster, entzünde das Licht,
Seh die weißglänzenden Kissen des Bettes warten,
Weiß den Mond und die Welt und das wehende Wolkengedicht
Draußen lebendig im Föhn überm silbrigen Garten,
Finde zurück mich langsam zu meinen gewohnten Dingen,
Höre bis in den Schlaf das Lied meiner Jugend klingen.

M IT DER E INTRITTSKARTE
ZUR Z AUBERFLÖTE
    So werd ich dich noch einmal wiederhören,
Geliebteste Musik, und bei den Weih’n
Des lichten Tempels, bei den Priesterchören,
Beim holden Flötenlied zu Gaste sein.
    So viele Male in so vielen Jahren
Hab ich auf dieses Spiel mich tief gefreut,
Und jedesmal das Wunder neu erfahren
Und das Gelübde still in mir erneut,
    Das mich als Glied in eure Kette bindet,
Morgenlandfahrer im uralten Bund,
Der nirgend Heimat hat im Erdenrund,
Doch immer neu geheime Diener findet.
    Diesmal, Tamino, macht das Wiedersehen
Mir heimlich bang. Wird das ermüdete Ohr,
Das alte Herz euch noch wie einst verstehen,
Ihr Knabenstimmen und du Priesterchor –
Werd ich vor eurer Prüfung noch bestehen?
    In ewiger Jugend lebt ihr, selige Geister,
Und unberührt vom Beben unsrer Welt,
Bleibt Brüder uns, bleibt Führer uns und Meister,
Bis uns die Fackel aus den Händen fällt.
    Und wenn einst eurer heitern Auserwählung
Die Stunde schlägt und niemand mehr euch kennt,
So folgen neue Zeichen euch am Firmament,
Denn alles Leben dürstet nach Beseelung.

M ÜSSIGE G EDANKEN
    Einmal wird dies alles nicht mehr sein,
Nicht mehr diese töricht genialen Kriege,
Diese teuflisch in den Feind gewehten
Gase, diese Betonwüstenein,
Diese Wälder, statt mit Dorn mit Drähten
Dicht bestachelt, diese Todeswiegen,
Drin so viele Tausend schaudernd liegen,
Die mit so viel Geist und Fleiß ersonnenen,
Die mit so viel feigem Witz gesponnenen
Todesnetze über Land, Luft, Meer.
    Berge werden in die Bläue ragen,
Sterne werden durch die Nächte leuchten,
Zwillinge, Kassiopeia, Wagen,
Ewig in gelassener Wiederkehr,
Laub und Gras mit seinem morgenfeuchten
Silber wird dem Tag entgegengrünen,
Und im
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