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Studio 6

Studio 6

Titel: Studio 6
Autoren: Liza Marklund
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mächtigen Linden und tanzte über den Granit. Der Friedhof war schon hier, als die Stadt noch gar nicht so weit reichte, dachte Annika. Die Bäume waren schon da, als die Toten begraben wurden. Sie waren damals kleiner und dünner, aber ihre Blätter sandten dasselbe Spiel von Licht und Schatten über den Granit, als die Gräber frisch gegraben waren.
    Die Tore wurden aufgestoßen, die Fotografen fingen an.
    Einer von ihnen drängte sich an Annika vorbei und rammte ihr einen Ellenbogen in den Bauch, so dass sie einen Moment lang nach Luft ringen musste. Erstaunt stolperte sie zurück und verlor die Bahre aus dem Blick, war aber schnell wieder vorn.
    Ich frage mich, in welche Richtung wohl der Kopf liegt, dachte Annika. Sie werden sie ja wohl kaum mit den Füßen voraus fahren. Die Fotografen folgten der Bahre entlang der Absperrung. Die Motoren der Kameras ratterten unrhythmisch, das eine oder andere Blitzlicht war zu sehen. Bertil Strand sprang hinter seinen Kollegen herum, hielt die Kamera mal über und dann wieder zwischen sie. Annika hielt die Hecktür des Leichenwagens fest umklammert, der Lack brannte unter ihren Fingern.
    Durch die blinden Flecken, die die Blitze hervorriefen, sah sie das Paket der toten Frau auf sich zurollen. Der Fahrer des Leichenwagens blieb zwanzig Zentimeter vor ihr stehen. Er drückte eine mechanische Vorrichtung, und Annika konnte sehen, dass er verschwitzt und gestresst war. Sie schaute auf das Plastik hinunter.
    Ich frage mich, ob die Sonne sie warm gehalten hat, dachte sie.
    Ich frage mich, wer sie war.
    Ich frage mich, ob sie wusste, dass sie sterben würde.
    Ich frage mich, ob sie noch Angst haben konnte.
    Plötzlich liefen die Tränen. Sie ließ die Tür los, wandte sich um und ging ein paar Schritte fort. Der Boden schwankte, ihr war, als musste sie sich erbrechen.
    »Das ist der Geruch und die Hitze«, meinte Berit, die plötzlich an ihrer Seite war, sie an der Schulter fasste und vom Leichenwagen wegzog.
    Annika trocknete die Tränen.
    »Jetzt fahren wir in die Redaktion«, sagte Berit.
    Patricia erwachte mit dem Gefühl zu ersticken. Es gab keine Luft im Raum, sie konnte nicht atmen. Langsam wurde sie sich ihres Körpers bewusst, glänzend nackt auf der Matratze. Als sie den linken Arm hob, lief der Schweiß die Rippen hinunter und in den Bauchnabel.
    Himmel, dachte sie, ich brauche Luft! Und Wasser! Sie erwog einen Moment, Josefine zu rufen, aber aus irgendeinem Grund überlegte sie es sich anders. Es war völlig still in der Wohnung, entweder schlief Jossie noch, oder sie war ausgegangen. Patricia stöhnte leise und drehte sich halb um. Wie spät war es wohl? Josefines schwarze Gardinen schlossen den Tag aus und tauchten den Raum in ein muffiges Dunkel. Es roch nach Schweiß und Staub.
    »Das ist ein schlechtes Omen«, hatte Patricia gesagt, als Josefine mit dem dicken schwarzen Stoff nach Hause gekommen war. »Man kann keine schwarzen Vorhänge haben. Das macht Trauerränder an die Fenster, dann können die positiven Energien nicht frei fließen.«
    Josefine war ärgerlich geworden.
    »Das ist mir scheißegal«, hatte sie gesagt. »Du musst es ja nicht anschauen. In meinem Zimmer will ich es jedenfalls dunkel haben. Wie sollen wir nachts arbeiten, wenn wir tagsüber nicht schlafen können, hast du darüber schon mal nachgedacht?«
    Natürlich bekam Jossie, was sie wollte, so war es meistens. Patricia setzte sich langsam auf. Das Laken hatte sich zu einer feuchten Nabelschnur mitten im Bett gewunden.
    Ärgerlich versuchte sie es zu glätten.
    Jossie ist dran mit Einkaufen, dachte sie, deshalb ist wahrscheinlich nichts im Haus.
    Sie stand auf und ging aufs Klo. Dann lieh sie sich Josefines Morgenmantel aus und kehrte ins Zimmer zurück, um die Vorhänge aufzuziehen. Das Licht stach ihr wie mit Nägeln in die Augen und ließ sie die Vorhänge schnell wieder zuziehen. Stattdessen machte sie ein Fenster weit auf und stellte einen Topf dazwischen, damit es nicht wieder zufiel. Die Luft war draußen zwar fast noch wärmer als drinnen, aber sie roch nicht so schlecht.
    Sie ging langsam in die Küche, füllte ein Bierglas mit Wasser aus dem Hahn und trank gierig. Die Küchenuhr zeigte fünf vor zwei. Patricia war zufrieden. Sie hatte nicht den ganzen Tag verschlafen, obwohl sie bis fünf Uhr früh gearbeitet hatte.
    Sie stellte das Glas zwischen einen leeren Pizzakarton und drei Tassen mit festgetrockneten Teebeuteln auf den Spültisch. Jossie war einfach nicht dazu zu bewegen,
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