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Strom der Sehnsucht

Titel: Strom der Sehnsucht
Autoren: Jennifer Blake
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ihren Pferden wie die Ehrengarde einer Prinzessin.
    Ein vierter Ritter kam in Sicht. Der Wagenschlag wurde aufgerissen. Dem gegenwärtigen und künftigen König von Ruthenien gelang der komplizierte Schwung vom Rücken eines Pferdes in eine fahrende Kutsche mit Leichtigkeit. Für einen Moment balancierte er in der offenen Tür, lächelte ihr strahlend und spöttisch zu, lehnte sich dann hinaus, um die schwingende Tür zu erreichen, schlug sie zu und warf sich neben Angeline.
    Sie zog die Satinröcke unter seinen Stiefeln hervor und blitzte ihn wütend an. »Was machst du denn hier?«
    »Ich eskortiere die Braut, ein alter ruthenischer Brauch.«
    Angeline hatte sich einen Augenblick lang sehnsüchtig einem verrückten Gedanken hingegeben. Sie war froh über die Dunkelheit im Wagen, die vor Rolf verbarg, wie ihr die Hände bebten und wie sie bis unter die Haarwurzeln errötete. In ihrer Not rief sie aus: »Du hast ja einen Rausch!«
    »Ich bin nur berauscht von deiner Schönheit. Ich war noch nie im Leben so nüchtern und habe die Absicht, diesen Zustand andauern zu lassen.«
    »Wenn... wenn du so meinen Ruf flicken willst, dann laß mich dir offen sagen, daß du dich ganz so benimmst wie ein Wüstling, der erleichtert seine Maitresse seinem Nachfolger aushändigt.«
    »Bissige Worte, eine Zunge bittrer als Aloe. Wenn das die Art Ehefrau ist, die abzugeben du vorhast, ist dein armer Gatte zu bedauern.«
    »Du verschwendest dein Mitgefühl. Er wird es nicht bereuen.«
    »Ich bin froh, das zu hören.«
    »Ich wüßte gerne, was dich das angeht!«
    Er sah sie nachdenklich an. »Wie der Mann, der die Blumen gesetzt hat, deren starker Duft seinen Nachbarn umwirft, fühle ich eine gewisse Verantwortung.«
    »Wenn du damit sagen willst, daß ich Andre überwältigen werde, dann ist das lächerlich«, erwiderte sie, bekam ihre Stimme dabei aber kaum unter Kontrolle und kämpfte mühsam um eine feindselige Haltung.
    »Er wird sicher versuchen, es zu verhindern. Die Frage ist nur, ob er es kann. Oder wird er sich statt des Bettlakens in ein Leichentuch hüllen, um sich von seinen ehelichen Bemühungen zu erholen?«
    »Das ist unerhört!« rief sie aus und gab ihre Beherrschung auf. »Du bildest dir wohl ein, eine bessere Partie zu sein.«
    Er sah ihr in die Augen. Das Licht der Wagenlaternen fiel mit dunklem Goldglanz auf sein Haar. »O ja, meine süße Angeline. Ich bin dein ebenbürtiger Gefährte, die bis zum Zerreißen gespannte Sehne zu deinem Bogen, das gehärtete Schwert zu deiner geschmeidig weichen Scheide, der verzauberte Zwilling deiner Seele, die andere Hälfte deines Wesens, der Schwan, der ohne dich mit Gesang sterben muß.«
    Der Schmerz brannte weißglühend in ihrem Herzen und fraß sich bis ins tiefste Innere ihrer Seele. Angeline konnte nicht sprechen, sie konnte nicht atmen. Erst als der Wagen vor der Kirche an Fahrt verlor und rasselnd zum Stehen kam, brachte sie flüsternd heraus: »Das darfst du nicht tun.«
    »Ich hab es aber schon getan«, erwiderte er. Mit der geschmeidigen, mühelosen Kraft des Wolfs, von dem er den Namen hatte, sprang er aus der Kutsche, sobald die Tür aufgerissen wurde, und half Angeline beim Aussteigen.
    Andre war nirgends zu sehen. Das Portal der Kirche stand offen, und aus dem Innenraum schimmerte Kerzenlicht. Düsteres, leeres Gestühl säumte den Mittelgang zum Altar, wo weiß das Meßgewand des Priesters leuchtete. Es roch nach Weihrauch und heißem Wachs, nach Staub und schweißdurchtränktem Holz. Blaßgold glänzten Heilige aus Gips, und fleischfarbener Marmor wechselte mit durchbrochenem geschnitzten Holzflechtwerk. Die Schritte von Angeline und Rolf, gefolgt von der Garde, waren gedämpft, klangen in der Stille aber dennoch laut.
    Für eine kleine Weile überließ sich Angeline ihren Träumen. Der Mann an ihrer Seite war lebendig und wirklich, erfüllt von leidenschaftlichen, tiefen Gefühlen. Sie spürte in sich eine Antwort auf die starke Lebenskraft, die er ausstrahlte. Dann trat Andre vor ihnen aus dem Schatten und stellte sich zwischen sie und den Altar.
    Rolf blieb in Reichweite des anderen Mannes stehen. Die beiden sahen sich an. Angeline spürte die Spannung in dem Arm unter ihrer Hand und sah Andre die Hände zu Fäusten ballen. Sie rang nach Luft, ließ Rolfs Arm los und streckte die Hand nach Andre aus.
    Sie hatte all ihre Kraft zusammengenommen, konnte aber nicht verhindern, daß die Verzweiflung wieder in ihr aufkam und sich in ihren graugrünen Augen
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