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Strom der Sehnsucht

Titel: Strom der Sehnsucht
Autoren: Jennifer Blake
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gehofft haben, denn er hatte auf Angelines Alarmruf mit Verspätung reagiert, obwohl sein Zimmer gleich gegenüber lag.
    Dann, beim Handgemenge mit den Männern von St. Martinville nach dem mitternächtlichen Besuch in der Klosterschule, war ihr Pferd - dessen war sie sich ganz sicher - gestoßen worden, daß es sich aufbäumte, und ihr selbst war ein Schlag gegen das Knie versetzt worden, so daß sie das Gleichgewicht verloren hatte und gestürzt war. Meyer war direkt hinter ihr gewesen. Aber welche Bedrohung hatte sie seinerzeit für ihn dargestellt? Keine, es sei denn, er glaubte, sie kenne die Verwandten in Natchitoches, zu denen Claire sich aufgemacht hatte, und spürte, daß ihr Widerstand gegen Rolf nachließ. Oder war es ein Racheakt für ihren Anteil an seiner Demütigung beim Kampf mit den Stöcken, bei dem er von der Garde besiegt worden war; oder dafür, daß sie Rolf zu Claires Versteck im Internat geführt hatte?
    Warum er sie in McCulloughs Lager umworben hatte, lag auf der Hand. Rolfs Interesse war erwacht, und so hatte Meyer eine Leidenschaft für sie entwickelt, die er befriedigen wollte. Außerdem strebte er die Kontrolle über das Kind an, mit dem sie seiner Vermutung nach schwanger ging.
    Auf einmal fügte sich alles so einfach zusammen! Warum hatte sie es nicht vorher erraten? Vielleicht, weil es schwer war, in jemandem einen Feind zu sehen, der das Gesicht eines Freundes trug. Wieviel schwerer mußte es für Rolf sein. Er hatte schon als Kind mit ihm gespielt, war zusammen mit ihm von seinem Vater verachtet und vernachlässigt worden, war mit ihm gemeinsam ausgebildet worden und hatte an seiner Seite gekämpft.
    Aus verschiedenen Erzählungen, die Angeline aufgeschnappt hatte, konnte sie schließen, daß Rolf und die Garde - unter ihnen auch Meyer - während der Zeit von Claires Affäre mit Maximilian nur ab und zu in Ruthenien gewesen waren. Hatte Rolf nicht berichtet, er habe Claire ein-, zweimal von ferne gesehen? Soviel Angeline wußte, reiste Rolf damals aus reinem Vergnügen kreuz und quer durch Europa. Wenn Meyer während dieser Zeit allein nach Ruthenien zurückgekehrt war, hatte er es mit Sicherheit geheimgehalten. Bestimmt hatte er sorgfältig darauf geachtet, daß Rolf sich innerhalb der Landesgrenzen befand, bevor er seinen Plan ausführte und Maximilian aus dem Weg räumte. Nur so konnte er seinen Bruder in die Geschichte verwickeln.
    Und das war ihm gelungen. Ein Erlaß des Königs sprach Meyer von jeder Schuld frei, wenn Rolf den Tod finden sollte. War dieses Papier noch bei Meyers Sachen, oder hatte Rolf es gefunden und vernichtet? Vielleicht hatte er es aus Stolz und Bitterkeit aufgehoben, um es Meyers nächstem Verwandten, seinem Vater, vor die Füße zu werfen?
    Angeline legte die Hand auf die Einladung, auf der ihr Name stand. Rolf ging fort und kehrte in sein Heimatland zurück. Mußte er nach seiner Ankunft vor seinem Vater erscheinen und sich für Meyers Tod verantworten? Würde der König die Wahrheit aus dem Munde seines zweiten Sohnes überhaupt glauben, auch wenn Leopold sie bezeugen konnte? Und was dann? Würde er wieder durch Europa streifen, um sich nach einem Kampfschauplatz umzusehen? Oder würde man ihn als Kronprinzen willkommen heißen und ihn in Samt gekleidet, juwelenbehängt und mit Blumen überhäuft dem Volk an der Seite seiner Braut, der bayrischen Prinzessin, präsentieren?
    Nein, dachte sie, ich gehe nicht hin. Ich kann ihm nicht vor Dutzenden von Leuten mit der Maske eines gefrorenen Lächelns auf den Lippen Lebewohl sagen, während mir die Knie so zittern, daß ich nicht einmal einen Knicks zustande bringe. Ich will nicht Zusehen, wie Gustav sich in seiner besten Uniform unbehaglich fühlt, Leopold sich in seiner stolzen Reizbarkeit im Hintergrund hält und Oswald nur stiller Beobachter ist - ganz wie Oskar. Ich möchte sie so in Erinnerung behalten, wie ich sie zuletzt sah: vom Kampf gegen das Feuer erschöpft, wobei aber die schweißnassen, rußgeschwärzten Gesichter vor Freude strahlten über ihren Sieg und darüber, Rolf wieder heil bei sich zu haben. Ich denke lieber an das Lebewohl zurück, das Rolf mir in der Nacht bereitet hat, bevor Claire gefunden wurde, ein Lebewohl aus Umarmungen und Küssen, leidenschaftlicher Zärtlichkeit und liebevollen Worten, die ich bis zu meinem Tod nie vergessen werde. Nein, ich gehe nicht hin.
    Aber Angeline ging doch. Sie befürchtete, daß Rolf ihr sonst die Garde schicken würde, wie er es schon einmal getan
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