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Stoner: Roman (German Edition)

Stoner: Roman (German Edition)

Titel: Stoner: Roman (German Edition)
Autoren: John Williams
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Welt bestehen könnten, doch geschieht das bloß zur Tarnung. Wie die Kirche im Mittelalter, die sich keinen Deut um Laien oder gar um Gott scherte, haben wir unsere Vorwände, die es uns zu überleben gestatten. Und wir werden überleben – denn das müssen wir.«
    Finch schüttelte bewundernd den Kopf. »Du lässt uns wirklich schlecht aussehen, Dave.«
    »Vielleicht«, sagte Masters. »Doch schlecht wie wir sind, sind wir doch besser als jene draußen im Schmutz, die armen Dreckskerle der Welt. Wir fügen keinen Schaden zu, wir sagen, was wir wollen, und werden noch dafür bezahlt; das istein Triumph der natürlichen Tugend oder kommt ihm doch zumindest verdammt nahe.«
    Gleichgültig lehnte sich Masters vom Tisch zurück, als interessierte ihn nicht länger, was er gerade gesagt hatte.
    Gordon Finch räusperte sich. »Tja, nun«, sagte er in ernstem Ton. »Es mag was dran sein an dem, was du sagst, Dave, aber ich finde, du gehst zu weit. Ganz ehrlich.«
    Stoner und Masters lächelten einander an, doch sie erörterten diese Frage an jenem Abend nicht weiter. Noch Jahre später erinnerte sich Stoner aber in den seltsamsten Augenblicken an das, was Masters gesagt hatte, und obwohl das Gesagte für ihn nicht auf die Universität zutraf, der er sich verpflichtet hatte, verriet es ihm allerhand über seine Beziehung zu den zwei Männern und gewährte ihm einen flüchtigen Blick auf die zersetzende, unverdorbene jugendliche Bitterkeit.
    *
    Am 7. Mai 1915 versenkte ein deutsches U-Boot den britischen Passagierdampfer Lusitania mit einhundertvierzehn amerikanischen Passagieren an Bord; bis gegen Ende des Jahres 1916 herrschte seitens der Deutschen ein uneingeschränkter U-Boot-Krieg, und die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA wurden zunehmend schlechter. Im Februar 1917 brach Präsident Wilson die diplomatischen Beziehungen ab. Am 6. April folgte eine Erklärung des Kongresses und die Vereinigten Staaten traten offiziell in den Krieg ein.
    Als wären sie erleichtert, dass die zermürbende Ungewissheit endlich vorüber war, stürmten gleich nach dieser Erklärungüberall im Land Abertausende junger Männer die während der letzten Wochen hastig eingerichteten Anwerbestellen. Mehrere Hundert hatten Amerikas Kriegsbeitritt gar nicht erst abgewartet und sich schon 1915 freiwillig zum Dienst bei den kanadischen Truppen oder als Sanitätsfahrer bei einer der alliierten europäischen Truppen gemeldet. Zu ihnen gehörten auch einige ältere Studenten der Universität, und obwohl William Stoner keinen davon gekannt hatte, hörte er ihre legendären Namen mit zunehmender Häufigkeit während jener Monate und Wochen, die bis zu dem Augenblick verstrichen, von dem sie alle wussten, dass er irgendwann kommen musste.
    Der Krieg wurde an einem Freitag erklärt, und auch wenn für die folgende Woche Unterricht vorgesehen blieb, gaben sich nur wenige Studenten oder Professoren den Anschein, ihren Pflichten Genüge tun zu wollen. Sie schlenderten über die Korridore, standen in kleinen Gruppen beisammen und murmelten mit gedämpften Stimmen. Manchmal explodierte die angespannte Stille geradezu, und zweimal kam es zu allgemein antideutschen Demonstrationen, auf denen die Studenten wirres Zeug riefen und mit amerikanischen Wimpeln wedelten. Einmal gab es eine kurzlebige Demonstration gegen einen Professor, einen alten, bärtigen Dozenten der Germanistik, der, in München geboren, als Jugendlicher die Universität in Berlin besucht hatte. Als der Professor jedoch der aufgebrachten, triumphierenden kleinen Gruppe Studenten gegenübertrat, verwirrt blinzelte und ihnen die dürre, zitternde Hand hinstreckte, löste sich das Häuflein in mürrischer Konfusion wieder auf.
    Während dieser ersten Tage nach der Kriegserklärung litt Stoner ebenfalls unter einer gewissen Verwirrung, doch unterschiedseine sich gründlich von jener, die fast alle auf dem Campus Anwesenden erfasst hatte. Obwohl er mit Dozenten und älteren Studenten über den Krieg in Europa geredet hatte, hatte er doch nie recht daran glauben wollen; und nun, da er ausgebrochen war, für ihn wie für sie alle, entdeckte er in sich ein großes Reservoir der Gleichgültigkeit. Ihm missfiel die Unruhe, die der Universität vom Krieg aufgedrängt wurde; außerdem konnte er in sich kein besonders ausgeprägtes patriotisches Gefühl wahrnehmen, und er brachte es auch nicht über sich, die Deutschen zu hassen.
    Doch die Deutschen waren da, um gehasst zu werden. Einmal sah Stoner,
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