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Stolperherz

Stolperherz

Titel: Stolperherz
Autoren: Boje Verlag
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so?«
    Ich schüttelte erneut den Kopf.
    »Da ist noch etwas«, setzte sie an und holte tief Luft. Ich war auf alles gefasst.
    »Wir haben gedacht, wegen der Trennung …da tut Abstand gut …«
    »Was habt ihr getan?« Ich sah meiner Mutter direkt in die Augen, aber sie wich meinem Blick aus.
    »Wir haben dich zur Kur in der Ostseeklinik angemeldet. Für die Sommerferien.«
    »Für welche Sommerferien?« Ich wusste die Antwort, brauchte aber diesen Aufschub, um nicht zu detonieren.
    »Für diese.«
    »Niemals.«
    »Es muss sein, Sanny.«
    »Nein.«
    »Ich kann und werde nicht mehr mit dir darüber diskutieren. Dein Zustand stagniert seit fast zwei Jahren. Wir haben als Eltern die Verpflichtung, das Beste für dich zu entscheiden. Dr. Lund sagt auch, dass …«
    »Es ist mir egal, was Dr. Lund sagt. Ich fahre nicht.«
    »Schau, es ist eine ganz neue, moderne Einrichtung, und an der Ostsee! Du liebst doch das Meer! Boltenhagen, kennst du das? Es ist wunderschön dort!«
    »Klar, so ein Lazarett für verkrüppelte Kinder ist sicher wunderschön, wenn es nur am Meer liegt.«
    »Du bist nachgerutscht. Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, aber dann ist überraschend noch ein Platz frei geworden. Das kommt selten vor, du kannst dich wirklich freuen. Ich habe auch Prospekte …«
    »Nachgerutscht? Weil jemand abgenippelt ist?«
    »Sanny!«
    »Wieso sagst du es mir erst jetzt?«, herrschte ich meine Mutter an, » Einen Tag vorher?!«
    Jetzt wurde mir auch klar, warum wir in letzter Zeit noch häufiger zu Spezialisten gerannt waren als sonst: Lisa hatte die Berichte für die Kuranträge gebraucht. Es war nicht zu fassen, dass sie mich einfach angemeldet hatte. Aber wer meine Mutter kannte, wunderte sich eigentlich über nichts mehr.
    Lisa zuckte mit den Schultern. »Wir wussten es doch selbst noch nicht lange und außerdem dachten wir, so hättest du keine Zeit, ständig das Für und Wider abzuwägen. Es muss so oder so sein.«
    » Ihr? Eher du !«
    »Nein, wir waren uns wenigstens in diesem einen Punkt einig.«
    Lisa spielte auf die Trennung an. Es hatte in letzter Zeit viel Streit zwischen ihr und Paps gegeben, meistens am Telefon. Auch wenn sie abends in den Hörer geflüstert hatte, damit ich nichts mitbekam, hatte ich in dem Flüstern oft ein Schluchzen erkannt.
    »Und du hast auch sicher schon vorgepackt?« Ich kannte meine Mutter. Sie hatte garantiert einen Medikamentenvorrat für drei Monate statt für drei Wochen besorgt, und was ich sonst ihrer Meinung nach noch alles brauchen würde, und davon das Dreifache.
    »Deine persönlichen Sachen und deine Lieblingsklamotten natürlich nicht, die kannst du heute Abend in Ruhe …«
    »Nein«, unterbrach ich meine Mutter erneut.
    »Papa wird dich auch in Boltenhagen besuchen kommen«, setzte sie neu an, »und ich natürlich sowieso.«
    »Nein!«
    » Nein kein Besuch generell? Oder nein zu meinem Besuch?«
    »Nein zu allem!«, brüllte ich und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Sie sollte nicht sehen, dass ich kurz davor war, loszuheulen.
    »Wir reden später. Ich mache dir jetzt erst mal einen Toast. Mit Marmelade?«
    Ohne meine Antwort abzuwarten, stand sie wieder auf und holte die Packung Vollkorntoast aus dem Küchenschrank. In Rekordzeit lagen zwei leicht gebräunte Toasts mit Butter und Marmelade anstelle des Müslis vor mir. Meine Mutter musste immer etwas zu tun haben, sie brauchte immer eine Beschäftigung. Wenn sich nicht alles um mich drehte, was meistens der Fall war, dann kümmerte sie sich um ihr Ehrenamt in der Kirche, unser Haus, unsere Polsterstühle oder die Wandfarben, die aufgefrischt werden mussten.
    Sollte sie plötzlich bemerken, dass sie nicht mehr gebraucht wurde, würde sie vermutlich auf der Stelle tot umfallen. Was sie wohl für die Zeit ohne mich geplant hatte? Wenn ich wiederkam, hatte sie wahrscheinlich eine neue Orchideenart erfolgreich gekreuzt, einen gigantischen Gartenteich ausgehoben und mindestens eine neue Stadt gegründet. Aber ich würde ja nicht wiederkommen, denn ich würde erst gar nicht fahren.
    Ich hatte keinen Appetit, noch weniger als sonst, und schob die Toastscheiben lustlos auf dem Teller hin und her.
    »Du bist viel zu dünn«, hörte ich meine Mutter stöhnen. »Die Meerluft wird dir guttun.«
    Ich starrte die Toastscheiben auf meinem Teller an: Warum hatte noch nie jemand festgestellt, dass Toasts nicht vollkommen quadratisch sind, sondern vielmehr rechteckig, besonders, wenn sie getoastet wurden?
    »Nimm die
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