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Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Titel: Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht
Autoren: Laura Brodie
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auf die fremde Handschrift.
     
    10.   August 2003
    Liebe Mrs Stewart,
     
    wir haben uns im letzten Oktober auf dem Eltern-Wochenende kennengelernt. Sie haben Jacob und mich damals zu einem sehr schönen Abendessen eingeladen. Ich
habe von Jacobs Tod gehört und möchte Ihnen mein Beileid aussprechen für den Schmerz, den Sie erleiden müssen. Und ich habe auch gehört, dass Sie einen Zivilprozess wegen fahrlässiger Tötung gegen Professor Greene führen wollen, und aus diesem Grund schreibe ich Ihnen. Ich bin sicher, dass Sie Ihren Sohn lieben, aber Sie müssen begreifen, dass Professor Greene die Wahrheit sagt, wenn sie ihre Tat gegen ihn als Notwehr schildert. Ich weiß es, weil Jacob im letzten Dezember auch mich angegriffen hat, als ich mit ihm Schluss machen wollte. Jacob schlug mich, vergewaltigte mich und brach mir zwei Rippen. Ich bin nie mehr ans Holford College zurückgekehrt, und ich habe keine Anzeige gegen ihn erstattet, weil ich zu jener Zeit einfach nur nach Hause wollte und so tun, als wäre das alles nicht passiert. Jetzt bedauere ich das. Ich weiß, dass es ein Schock für Sie sein muss, dies zu lesen, aber was ich schreibe, ist wahr. Meine Verletzungen können meine Mitbewohnerin, Officer Carver Petty, meine Eltern und das Krankenhauspersonal in Jackson bezeugen. Wenn Sie die Zivilklage gegen Professor Greene nicht fallen lassen, werde ich in diesem Zivilprozess zu ihren Gunsten aussagen und allen erzählen, was Jacob getan hat. Ich würde es lieber nicht tun; und es schmerzt mich sogar, es hier aufzuschreiben. Aber Sie tun Professor Greene unrecht, und es wird Zeit, dass es ein Ende hat.
     
    Mit freundlichen Grüßen
    Lauren Cross
     
    »Das verstehe ich nicht«, sagte Emma. »Woher hat Carver Petty das?«
    »Er war der Polizist, der nach der Vergewaltigung als Erster mit Lauren Cross sprach. Und als er hörte, dass Mrs Stewart einen Zivilprozess wegen fahrlässiger Tötung anstrengt, bat er Lauren, ihr einen Brief zu schreiben und zuversuchen, sie davon abzubringen. Lauren hat ihm diese Kopie geschickt.«
    Maggie hatte erwartet, dass diese Enthüllung ihre Mutter von einigen ihrer Schuldgefühle befreien würde   – ihr klar machen würde, dass Jacob verdient hatte, was ihm widerfahren war   –, doch Emma wirkte nur müde.
    »Ich dachte, du würdest dich besser fühlen, wenn du weißt, wie schlimm Jacob war.«
    Emma seufzte. »Ich habe mich immer gefragt, warum Mrs Stewart die Zivilklage fallen gelassen hat. Ich dachte, Mason Caldwell hätte aufgehört, die Rechnungen zu bezahlen, oder vielleicht ihren Anwalt davon überzeugt, es aufzugeben. Aber ich kann mich einfach nicht freuen, wenn ich höre, dass Jacob jemanden angegriffen hat. Ich sehe in meinem Job so viele Vergewaltigungsopfer, dass es mir nur um das junge Mädchen leidtut.«
    »Aber es zeigt, dass es richtig war, was du getan hast«, sagte Maggie.
    »Nicht wirklich   …« Emma zögerte und fragte sich, wie sie einer Fünfzehnjährigen die Komplexität von Schuldgefühlen erklären sollte. »Was Jacob in der Vergangenheit getan hat und was ich in jener Nacht getan habe, sind zwei getrennte Dinge. Ich muss mit dem leben, was an meinem eigenen Handeln richtig und was falsch war.«
    Emma beugte sich hinüber und drückte ihrer Tochter einen Kuss aufs Haar. »Aber danke, dass du es mir erzählt hast.«
    Als sie sich wieder aufrichtete, bemerkte sie Maggies verwirrten Blick. »Was ist denn?«
    Maggie zuckte die Achseln. »Es ist nur   – diese Studentin hat mehr getan, um dir zu helfen, als ich jemals.«
    »Du warst erst fünf Jahre alt. Was hättest du tun können?«
    »Ich hätte reden können. Ich hätte allen erzählen können, dass ich die Stimmen der Studenten unten am Bach gehört habe und dass Kyle Caldwell in mein Zimmer kam und mich direkt angesehen hat. Ich hätte sagen können, dass ich gesehenhabe, wie Jacob sich ins Haus hereingedrängt hat und nach dir griff. Wenn ich all das gesagt hätte, hätte es deine Geschichte gestützt.«
    Emma schüttelte den Kopf. »Die Polizei hat nie an meiner Geschichte gezweifelt, und die Fingerabdrücke haben sie bewiesen.«
    »Aber sie mussten sehr lange auf diese Fingerabdrücke warten. Ich weiß noch, dass du dich mit Dad beim Abendessen darüber unterhalten hast. Und die ganze Zeit haben die Leute so schreckliche Sachen erzählt.«
    »Glaubst du wirklich, dass die Worte eines Kindes irgendwen davon abgehalten hätten, schlimme Sachen zu erzählen? Kyle Caldwell und Sandra
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