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Stimme aus der Unterwelt

Stimme aus der Unterwelt

Titel: Stimme aus der Unterwelt
Autoren: Stefan Wolf
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um über alles zu reden.“
    Dankbar sah Klößchen sie an.
    Das Telefon klingelte.
    Es stand auf der Fensterbank, also
direkt hinter Tim. Er und Holmann saßen auf einer langen, wunderschön
geschnitzten Eibenholz-Bank, auf der mindestens vier breite Hinterteile Platz
hatten. Weil aber an dem Zwölf-Personen-Tisch auch kopfseitig eine Bank war und
die beiden anderen Seiten von gepolsterten Bauernstühlen garniert wurden, hatte
man sich rundum verteilt.
    Holmann nahm den Hörer ab.
    „Ja?“
    Eine Männerstimme fragte: „Dr. Holmann?“
    „Ja.“
    Für einen Moment war es still in der
Leitung. Dann hörte auch Tim die geflüsterten Worte: „Bereite dich auf dein
Ende vor, Quacksalber! Du entgehst meiner Rache nicht.“
     

8. Hinter der Palme
     
    Rüdiger Klawim war entsetzt über sich.
    Wie konnte das passieren, daß er so die
Nerven verlor? Hals über Kopf war er aus dem Zug geflohen, hatte sogar seinen
Koffer vergessen — jedenfalls zurückgelassen. Zum Glück war nichts
Verräterisches drin. Er erinnerte sich nur an Wäsche, Hemden und einen Anzug
zum Wechseln.
    Trotzdem! Wieso hatte er, der erfahrene
Ganove — hahahah! — mit den Zähnen geklappert und den Knien gewackelt?
    Vielleicht, dachte er, lag es daran,
daß ich sozusagen die Abteilung gewechselt habe. Bisher war ich immer
Hoteldieb. Nur das. Bin mit dem Nachschlüssel in die Zimmer rein und habe
geklaut. Niemals Gewalt. Gut, auch diesmal war keine Gewalt im Spiel.
Jedenfalls nicht meinerseits. Aber ich habe immerhin einen Bewußtlosen — vielleicht
ist er inzwischen an seiner Kopfverletzung gestorben — einen Bewußtlosen habe
ich beraubt. Habe seine Brieftasche, die beiden Ringe und seine Armbanduhr
genommen. Warum? Nur weil ich zufällig an dem Abteil vorbeikam und den
Bedauernswerten so sah. Da ist es mit mir durchgegangen. Beruflicher Instinkt.
Ja, das ist es. Ich muß einfach zugreifen, wenn Wertsachen rumliegen. Das hat
sich schon im Kindergarten gezeigt. Mann, habe ich da geklaut!
    Rüdiger Klawim wischte sich über die
Stirn. Er schwitzte. Seit fast zwei Stunden irrte er nun in Bad Fäßliftl umher.
Wurde höchste Zeit, daß er einen Entschluß faßte.
    Doch noch immer beschäftigten sich
seine Gedanken mit den letzten Minuten im Alpen-Express.
    Dieser Schreck, dachte der berufsmäßige
Dieb, als ich aus dem Abteil trat. Steht doch diese Frau vor mir. Glotzt mich
an durch ihre dunkle Brille. Aber nein! Irrtum! Gott sei Dank! Sie glotzt
nicht. Sie ist blind. Hat den gelben Streifen am Ärmel und in der Hand einen
Blindenstock. Mann, hatte ich einen Dusel! Trotzdem ist mir der Schreck in die
Knochen gefahren, und ich bin gerannt wie ein Anfänger — wie einer, der
unbedingt auffallen will. Wo doch jeder Profi weiß: Auf der Flucht muß man
langsam gehen.
    Rüdiger Klawim kam jetzt an einer
Grünanlage vorbei, die davon träumte, ein Park zu werden. Doch so groß war sie
nicht. Immerhin stand da eine Bank, und er setzte sich, um zu verschnaufen.
    Längst war die Dunkelheit angebrochen.
In Bad Fäßliftl brannten alle Laternen, und hinter geöffneten Fenstern zuckte
das bunte Licht der Mattscheiben.
    Rüdiger war 31 Jahre alt, reiste als
Hoteldieb durch Europa, hatte einen festen Wohnsitz in Nürnberg und war dort
als besonders früher Frührentner registriert.
    Mit 22 Jahren hatte er sich in einer
chemischen Fabrik als Chemie-Facharbeiter eine Vergiftung zugezogen. Veräzte
Lunge, geschädigte Leber, Magenoperation.
    Rüdiger hatte darum gekämpft, daß man
ihn als arbeitsunfähig auf Lebenszeit einstufte. Es war ihm gelungen. Er bezog
eine winzige Rente. Alles andere zum Luxusleben besorgte er sich auf eigene
Faust. Gesundheitlich ging es ihm großartig. In Italien und Spanien spielte er
Golf, in den Alpen bestieg er die höchsten Gipfel. Er konnte alles essen und
trinken. Meistens war er gut gelaunt.
    Was nun?
    Er hatte im hiesigen Kur-Hotel ein Zimmer
bestellt. Aber ohne Gepäck? Was würden die denken?
    Rüdiger war mittelblond, mittelgroß und
hatte ein Dutzendgesicht. Er fiel nicht auf. Er wurde oft übersehen.
    Nachdenklich suchte er seine Taschen
ab.
    Da war seine Brieftasche, zum Glück,
mit Reisepaß, Fahrkarte und einem Bündel Geld. In der anderen Brusttasche
steckte das Etui mit dem Einbrecherwerkzeug: einem Dutzend schlanker
Nachschlüssel.
    Die Brieftasche des Bestohlenen hatte
Rüdiger bereits untersucht. Der Mann hieß Marcel Mair-Chateaufort. Ulkiger
Name. War das nun ein Österreicher oder ein Franzose?
    Die
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