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Stille(r)s Schicksal

Stille(r)s Schicksal

Titel: Stille(r)s Schicksal
Autoren: Monika Kunze
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weiter.
    In einem kurzen lichten Moment erinnerte sich Sven an das Fieberthermometer.
    Er musste die Augen zusammenkneifen, um die Skala zu erkennen.
    „ O Gott, ist ja schon an die vierzig!"
    Der Schreck hatte ihn augenblicklich ernüchtert, notdürftig wusch er die Kleine, zog ihr irgend etwas an, das einigermaßen sauber aussah. Schnell gab er ihr etwas Fencheltee vom Vortag, den sie gierig schluckte. Sven zog sich selbst auch in Windeseile an, denn er hatte noch am frühen Nachmittag den Bademantel vom Morgen auf dem Leib.
    Fast behutsam nahm er die Kleine auf den Arm und schaukelte sie ein wenig hilflos hin und her. Aber sie ließ sich einfach durch nichts beruhigen.
    „ Wir fahren jetzt zum Onkel Doktor!", schrie er ihr ins Ohr, um sie zu übertönen.
    Laura erbrach sich.
    Auch das noch, dachte er unwirsch, nahm ein Handtuch von der Stuhllehne und wischte seine Jacke ab. Auch Laura wurde notdürftig abgerieben … und ab ging die Post in seinem Polo, dem guten Erbstück von Anne. .
    Warum sollte er auch nur einen Gedanken an die mit Sicherheit noch vorhandenen Promille verschwenden. Wie sagte man doch so schön? Besoffene und kleine Kinder beschützt der liebe Gott. Als Sven endlich seine Tochter aus dem Kindersitz befreit und ohne irgendwo anzustoßen auf dem Arm hatte, schickte er einen dankbaren Blick zum Himmel.
     

Große Freiheit ohne Laura …
     
    „ Ihre Tochter hat eine starke Grippe, ist außerdem unterernährt. Geben Sie ihr nichts zu essen?"
    So ganz ernst schienen die Worte der jungen Ärztin im Krankenhaus nicht gemeint gewesen zu sein, denn sie hatte zu lächeln versucht.
    Doch ihren Blick empfand Sven eindeutig als vorwurfsvoll.
    Der junge Vater schaute, anscheinend verlegen, zu Boden, stammelte leise: „Ach, die Laura kommt nach ihrer Mutter, die war auch so dünn."
    Die Ärztin hielt jetzt inne mit ihrer Untersuchung, nahm das Stethoskop aus den Ohren und schaute Sven Stiller noch einmal prüfend ins Gesicht.
    „ Wir müssen die Kleine erst einmal ein Weilchen hier behalten, so kann sie nicht wieder mit nach Hause. Die Motorik ist auch unterentwickelt", sagte sie jetzt völlig ernst.
    „ Die was?"
    Sven musste sich anstrengen, um aufrecht stehen zu bleiben. Nur ja nichts anmerken lassen.
    „ Die Motorik, also ihre Bewegungsabläufe sind nicht so weit entwickelt wie sie es in ihrem Alter eigentlich sein müssten."
    Die Worte rauschten an seinen Ohren vorbei, aber er riss dennoch die Augen auf und sagte: „Aha!"
    Schnell senkte er wieder den Blick. Bewegungsabläufe, so, so, hm. Wieso, sie war doch gerade erst ein Jahr alt. Obwohl ... manche Kinder konnten wohl in diesem Alter schon laufen ... seine Nichten zum Beispiel, wie er sich dunkel erinnerte. Doch was kann ich dafür, wenn Laura noch immer keine Anstalten macht, sich auch nur kriechend fortzubewegen, begehrte etwas in ihm auf. Da war sie wieder, diese unerklärliche Wut.
    Ruckartig hob er den Kopf und reckte angriffslustig sein Kinn vor. Was wusste dieser Weißkittel schon? Er war jedenfalls überzeugt davon, dass er sein Bestes gab, sich wirklich den ganzen Tag nur abrackerte mit dieser kleinen Heulsuse.
    Vielleicht ist es ja ganz gut, dass sie ein Weilchen im Krankenhaus bleiben muss, da kann ich zu Hause wenigstens endlich mal in Ruhe aufräumen!
    Bleib´ ja gerade stehen, Sven Stiller, befahl er sich in Gedanken, nur nichts anmerken lassen!
    Es kostete ihn sichtliche Mühe, die Ärztin anzuschauen, um gelassen zu wirken.
    „ In Ordnung“, sagte er, „wenn Sie meinen, sie muss hier bleiben, dann wird es richtig sein. Sie sind der Arzt!"
    "Die Ärztin." sagte sie und lachte versöhnlich.
    "Hä? Ach so, ja, verstehe, die Ärztin." Er lachte nicht und ging ohne Gruß.
     
    Als Sven im Polo aus der Stadt heraus rollte, musste er auch am Wohnblock seiner Eltern vorbei. Er schaute nach oben, zu ihren Fenstern im sechsten Stock. Es brannte schon Licht, obwohl es noch nicht einmal Abend war.
    Das hätte ich mal machen sollen, dachte er bitter, Licht am Nachmittag! Er nahm nicht einmal den Fuß vom Gaspedal, geschweige denn, dass er angehalten hätte.
    Sie würden sich nur wieder unnötig Sorgen machen, wenn er ihnen von der Krankheit ihrer Enkeltochter erzählte. Außerdem hätte sein Vater bestimmt gemerkt, dass er angetrunken Auto fuhr. Nicht auszudenken, das Theater, das darauf folgen würde.
    "Bloß weg hier!"
    Laut und heftig stieß er die drei Worte aus, schaltete das Radio ein und gab Gas. Die rockige Musik wurde nicht vom
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