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Stille Nacht: Ein Fall für Hubertus Hummel (German Edition)

Stille Nacht: Ein Fall für Hubertus Hummel (German Edition)

Titel: Stille Nacht: Ein Fall für Hubertus Hummel (German Edition)
Autoren: Stefan Ummenhofer , Alexander Rieckhoff
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unglaublich dummer Scherz! Was kann denn Wagner für die Einvernahme durch Hitler? Bin ich als Wagnerliebhaber denn etwa auch ein Nazi? Ich?«
    Er schien wirklich empört.
    Schlenker fand die Bemerkung schlichtweg »degoutant«, wie er leise murmelte.
    Die Fahrt mit der Schwarzwaldbahn war zu jeder Jahreszeit ein Erlebnis. Gerade zogen dicke Schneeflocken am Fenster vorbei. Gelegentlich blitzte und flackerte es gewaltig, wenn die Stromabnehmer der Lok an der vereisten Oberleitung entlangstreiften.
    Am Abteilfenster flog die Silhouette der einstmals Freien Reichsstadt Gengenbach vorbei, die zwischen Wald und Reben am Eingang des Kinzigtals lag. Hubertus blickte den von Scheinwerfern angestrahlten Toren und Türmen gedankenverloren nach. Der Zug folgte dem Verlauf der Kinzig – allerdings in umgekehrter Richtung, den Schwarzwald hinauf. Hummels Blick streifte die vom Schnee leicht überzuckerten Weinberge, die im Mondschein nur schemenhaft zu erkennen waren.
    Aber nicht nur des schönen Ausblicks wegen besserte sich nun seine Laune. Erstens hatte er etwas Dampf abgelassen. Zweitens bestand schließlich nicht die ganze Welt aus Eishockey. Drittens war bald Weihnachten, was für Hubertus dieses Jahr in doppelter Hinsicht das Fest der Liebe werden sollte.
    Nach einem massiven privaten Tiefschlag – seine Ehefrau Elke hatte ihn verlassen – sah er jetzt wieder Licht am Ende des Tunnels, um in der Eisenbahnsprache zu bleiben. Gerüchten zufolge verstand sich Elke nämlich nicht mehr so gut mit dem Villinger Staranwalt Dr. Guntram Bröse, in dessen Arme sie zunächst geflüchtet war.
    Das hatte sich zumindest im badischen Ortsteil von Villingen-Schwenningen schon herumgesprochen. Und das Beste: Elke hatte einer Einladung von Hubertus zu einem Abendessen zugestimmt – »an neutralem Ort«, wie sie es formuliert hatte. Sie hatte ein Villinger Innenstadtrestaurant mit gehobener regionaler Küche vorgeschlagen.
    Hubertus hoffte auf eine lohnende Investition.
    Mit etwas Glück lag wirklich eine schöne Zeit vor ihm. Weihnachten in Villingen, das war etwas Besonderes, verbunden mit vielen Erinnerungen an Kindheit und Jugend, aber natürlich auch an Elke. Mit der würde es sich schon wieder einrenken, redete sich Hubertus ein.
    Auch auf den morgigen Tag freute er sich: Gemeinsam mit seiner Tochter Martina wollte er zum Weltcup-Skispringen nach Titisee-Neustadt – fünfunddreißig Kilometer von Villingen-Schwenningen entfernt. Die Siebzehnjährige fieberte seit Wochen dem Ereignis entgegen. Nachdem sie als kleines Mädchen noch auf Martin Schmitt geschworen hatte, der aus dem Villinger Vorort Tannheim stammte, war sie nun der größte Severin-Freund-Fan.
    Der Zug schob sich die Hänge empor. Ob Intercity, Regionalexpress oder Interregioexpress – das war der rauen Natur des Schwarzwalds einerlei. Auf der kurvigen und steilen Strecke kam keiner der Züge über ein Kriechen hinaus.
    »Nächschter Halt: Hornberg«, dröhnte der Zugführer, der mit seiner eindringlichen Stimme gar keinen Lautsprecher benötigt hätte. Noch hinkte man dem Fahrplan hinterher. Was soll’s, dachte Hubertus nun großzügig und blickte durch das Gangfenster auf der gegenüberliegenden Seite. Dort überragte der Schlossberg mit der beleuchteten Burg das Städtchen, das durch das Hornberger Schießen berühmt geworden war. Hubertus hätte die Geschichte, wie die Hornberger ihren Herzog mit »Piff-Paff«-Rufen begrüßten, nachdem sie ihr Pulver vorzeitig verschossen hatten, gerne zum Besten gegeben. Doch die beiden Opernfreunde fabulierten mittlerweile über große Tenöre.
    Hubertus war genervt. Eigentlich musste er gar nicht auf die Toilette, aber er befand es für nötig, einfach mal einen Moment dieses Abteil zu verlassen. Er schob die Tür auf und trat auf den Gang. Der Waggon war fast leer. Nur wenige Meter weiter stand ein großer, kräftiger Mann mit spitzer Nase, der regungslos durch ein Gangfenster den verschneiten Schwarzwald betrachtete.
    »Entschuldigung«, meinte Hubertus. »Darf ich mal vorbei?«
    Der Mann presste seinen Bauch wortlos gegen die Scheibe, Hubertus zog den seinen ein. Schließlich gelang es ihm, an dem mindestens einen Meter neunzig großen Hünen vorbeizukommen.
    Wenig später stand Hummel vor dem Waschbecken der Zugtoilette und überlegte. Einen Speisewagen gab es in der Schwarzwaldbahn nicht, in den man hätte ausweichen können. Irgendwann würden die Opernexperten ja hoffentlich alle Tenöre durchgekaut haben. Also
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