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Still und starr ruht der Tod

Still und starr ruht der Tod

Titel: Still und starr ruht der Tod
Autoren: Friederike Schmoee
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Liste mit den Teilnehmern gefunden. Rita ist nie bei Walli und Horst in Hof angekommen. Das haben mir alle bestätigt. Sie haben sich gewundert, wo sie bleibt.«
    »Aber niemand hat auf ihrem Handy oder auf dem Festnetz angerufen?«, staunte Katinka. »Das würde ich tun, wenn eine Freundin in einer Schneenacht allein mit dem Auto unterwegs ist und nicht aufkreuzt.«
    »Auf dem Handy hat sich niemand gemeldet. Und zum Festnetztelefon kann ich nichts sagen, weil ich an dem Abend ins Kino gegangen bin. Rita hat so ein altes Ding, da wird nie angezeigt, wer in Abwesenheit angerufen hat.«
    Simone gab an, nach der Spätvorstellung gegen 0.30 Uhr heimgekommen zu sein. Keine Spur von Rita. Sie hatte sich nichts dabei gedacht, war ins Bett gegangen, am Morgen war Rita immer noch nicht da. Sie hatte herumtelefoniert, sich Sorgen gemacht. Ihre Tochter angerufen, die versucht hatte, sie zu beruhigen. Anschließend hatte sie sich an die Polizei gewendet. Für eine Vermisstenanzeige schien es zu früh; es wurde in Krankenhäusern nachgefragt. Wenn Rita einen Unfall gehabt hatte, war sie zumindest nicht in eine Klinik eingeliefert worden. Sie wäre seit 36 Stunden in ihrem Auto. Oder in der freien Natur. Unwahrscheinlich in einem Land, das so dicht besiedelt war. Wobei das Fichtelgebirge ein anderes Kaliber darstellte als die Gegend am Main. Rau, windig, frostig. Katinka hatte keine richtige Idee, wie sie den Fall anpacken sollte.
    »Ich fahre die Strecke ab«, sagte sie mit einem Blick auf die Adressenliste. »Den wahrscheinlichsten Weg von Bamberg nach Hof zu Walli und Horst. Ich teste Umwege, Abkürzungen, sehe mich um, schaue, was sich machen lässt. Dann melde ich mich bei Ihnen.«
     
     
     
    7
     
    Der Schnee fiel unaufhörlich. Katinka zockelte hinter zwei Schneepflügen her. Sie fuhren versetzt und blockierten beide Spuren. Streusalz prasselte auf die Windschutzscheibe. Am Rand der Autobahn türmten sich die von Salz und Abgasen geschwärzten Schneemassen.
    Katinka drehte am Radio. Unaufhörlich brachten die Sendungen Ratschläge, wie man sich bei der arktischen Kälte verhalten sollte. Warm anziehen war einer davon. Manchmal zweifelte Katinka am Verstand der Gattung Mensch.
    »… in diesem Jahrhundertwinter«, kicherte die Stimme der Moderatorin.
    »Jahrhundert!« Katinka schüttelte den Kopf. Im Jahr 2012 ging man allzu verschwenderisch mit Superlativen um. Sie konnte sich an Winter in ihrer Kindheit erinnern, als sie die Einkäufe mit dem Schlitten heimbrachten.
    Der Schnee allerdings ging ihr auf den Geist, und noch mehr bedrückten sie der Mangel an Licht, vor allem aber die Weihnachtsparanoia um Dekoration, Rezepte und Geschenke. Wer seit Oktober in den Geschäften mit Nikoläusen zusammenstieß, hatte definitiv Mitte Dezember keine Lust mehr auf Weihnachten. Auf gar nichts. Sie drehte die Lautstärke auf null.
    Rita könnte sich umgebracht haben, dachte sie. Auf der Autobahn war sie bestimmt nicht verunglückt. Man hätte sie binnen Minuten gefunden. Auf einer Bundesstraße oder einer kleineren Straße mochte es länger dauern, bis man ein Unfallopfer entdeckte, aber keine anderthalb Tage. Selbst im tiefsten Winter nicht. Es konnte also höchstens sein, dass Rita eine Abkürzung quer durch den Wald ausprobiert hatte. Vielleicht war sie spät dran gewesen. Oder vielleicht hatte sie sich absichtlich irgendwo in die Wildnis zwischen Bayreuth und Hof zurückgezogen. Nur – warum?
    Suizid. Die Sehnsucht nach der eigenen Vernichtung. Die Selbstgerechtigkeit, anderen Schuldgefühle einzutrichtern. Tiefe Verzweiflung, Aussichtslosigkeit, Einsamkeit. Vielleicht gab es eine Leiche, die tiefgefroren an einer Frankenwaldfichte baumelte, während der Abschiedsbrief im Wagen darauf wartete, von den erschreckten und eingeschüchterten Freunden gelesen zu werden.
    Es wäre müßig, die Nebenstraßen abzufahren. Ein Unfall war so gut wie auszuschließen. Katinka hatte Polizeiobermeisterin Sabine Kerschensteiner, mit der sie seit Jahren eng befreundet war, gebeten, noch einmal die infrage kommenden Kliniken zu überprüfen. Dabei war nichts herausgekommen. Unfallopfer gab es genug, zum Glück meist harmlose Geschichten nach Kollisionen und Rutschpartien auf vereisten Straßen. Keine Rita Weiß. Keine namenlose Frau im passenden Alter. Überhaupt niemand, den man nicht hätte identifizieren können.
    Katinka hatte so ein merkwürdiges Gefühl. Von Simones Berichten her erschien ihr Rita reichlich unsympathisch. Depressiv.
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