Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher
Autoren: Astrid Paprotta
Vom Netzwerk:
waren schon da, die Schmerzen im Körper, aber sonst war nichts, kein Gefühl, kein Wille, nur dieses Zugeknalltsein von Pillen und Drogen. Aber meine Kinder waren da, irgendwo im Kopf. Ich war immer bei ihnen, Tag und Nacht, aber wie sollten sie das wissen? Ich habe sie wiedergesehen, in dem Schuppen, da waren sie gerade gestorben.« Wieder hob sie den Kopf; der Himmel war schwarz, und sie sprach ihn an. »Das war meine Strafe. Das war das Ende, aber dann seh ich Dorian wieder, und er tut, als wär nichts gewesen, als wär ich irgendeine Schlampe, mit der er Mitleid hat. Das war besser als nichts, weil – ich hatte ihn ja wieder irgendwie. Ich hab Bücher darüber gelesen, aber was sind Bücher, das half ihm auch nicht. Es war sein Schutz, daß er sich so verhalten hat. Ich wollte sie beide sehen, natürlich, aber Robbi war anders, voller Haß, es gab kein Wort, mit dem er mich nicht beschimpft hat, das war wie in dem Schuppen. Er kam nicht wirklich in die Kneipe, um sich von Dorian Geld zu pumpen, das waren doch immer nur kleine Beträge, nein, er kam, um mir alles zurückzugeben, heimzuzahlen. Und er konnte das, konnte schreien, demütigen, schlagen, trotzdem hab ich ihn besser verstanden als Dorian, das war menschlicher mit ihm.«
    Ina fragte: »Haben Sie nie mit ihm geredet? Ihm alles erklärt?«
    Katja sah an ihr vorbei. »Was denn erklären? Daß ich ihn allein ließ, mich weggeklinkt hab aus der Welt? Daß ich angefangen habe, ihn zu hassen? An diesem Tag war es stärker als alles andere, denn er sollte Dorian nicht weh tun, weil Dorian nicht weggehen würde, das hab ich gewußt, und ich wollte ihn behalten, ich wollte sie beide nicht noch einmal verlieren, aber Robbi hatte ich schon längst verloren, und Dorian wollte ich nicht auch –« Sie schwieg und sah sich um, als erkenne sie die Straße nicht mehr und das Haus, an dessen Wand sie lehnte, schmal und zerbrechlich wie eine Puppe, die nur noch von ein paar Fäden gehalten wird, Fäden, die reißen werden jeden Moment.
    »Gott, wie er schrie«, sagte sie nach einer Weile. »Ich konnte ihn nicht mehr erkennen, es war nicht Robbi, sein Gesicht war anders, älter, er hatte das Gesicht und die Stimme aller Kerle in dem Schuppen, deren Geschrei hab ich auch jahrelang gehört. Dann dreht er sich um und brüllt er Dorian an, guck hin, schreit er, guck sie dir an, die Hure, die Schlampe. Hör auf, hab ich ihm gesagt, laß ihn in Ruhe, ich hab doch gesehen, daß er ihn kaputtmacht, daß er das nicht aushält, ich hab seine Augen gesehen, Dorians Augen.« Sie sah auf ihre zitternden Hände. »Er sollte aufhören. Ich habe noch nie jemanden so gehaßt. Und ich hab ihn getötet.«
    »Sie wollten es nicht«, sagte Ina.
    »Ich wollte es so sehr wie Sie.« Wieder schien sie ganz leicht zu lächeln. »Sie wollten Dorian auch töten, es ist nur ein Moment, da ist die Hölle im Kopf. Ich sah Robbi da liegen und dachte, ich hätte ihn nur vom Hocker gestoßen. Aber er blutete so. Dorian ist dann rausgelaufen. Dann kommt er wieder herein und fragt: Wo kommt das Blut her, hat sich jemand verletzt? Später fragt er: Ist Robin nach Hause?«
    »Sie haben Robin weggebracht«, sagte Ina. »Auf den Friedhof.«
    »Ja, nach einer Weile. Ich hab ihn saubermachen wollen, aber ich bekam den nicht sauber, er sollte nicht so bluten. Ich wollte ihn nicht weglassen. Er hat plötzlich wieder wie ein kleiner Junge ausgesehen, im Gesicht meine ich, so wie ich ihn kannte, so friedlich. Und schön. Haben Sie ihn gesehen?«
    »Ja«, sagte Ina. »Als würd’ er schlafen.«
    Katja sah sie an, einen langen Moment, und es war nicht so, wie das manchmal ist, wenn jemand einen anguckte und man den Kopf drehen wollte. »Charly hatte sein Auto da«, sagte sie dann. »Ich hab ihn dann dahin gebracht. Ich wußte nicht, wohin sonst.« Sie wollte sich wieder eine Zigarette anzünden, doch ihre Hände zitterten zu stark, darum ließ sie beides fallen, die Zigarette und das Feuerzeug. Doch sie stand ruhig da und sah in den Himmel. Keine Sterne. »Vielleicht«, sagte sie nach einer Weile, »hätte er überlebt. Dorian, meine ich, im Innern. Wenn er ein Ziel gefunden oder sich richtig verliebt hätte, dann vielleicht. Er ist immer ein kleiner Junge geblieben, ein kleiner Junge mit einem Beruf und einer eigenen Wohnung.«
    »Ja«, murmelte Ina. »Er ist in Ihre Nähe gezogen, ganz im Innern hat er es gewußt, nicht?«
    »Sicher.« Katja trat mit der Fußspitze gegen die Zigarettenpackung, die ihr aus der Hand
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher