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Sternenschatten

Sternenschatten

Titel: Sternenschatten
Autoren: Sergej Lukianenko
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verziehen, Herrchen? Bringst du mich nicht mehr dahin?«
    Nein, ich bring dich da nicht mehr hin, bestimmt nicht.
    Wenn sich Menschen doch auch so verhalten könnten! Wenn sie einen Fehler nicht in ein Verbrechen verwandeln würden! Wenn sie den ersten Schritt auf den anderen zu machen würden!
    Allerdings dürften wir damit wohl auch aufhören, Menschen zu sein. Jeder hat nun einmal seine Stärken und seine Schwächen. Jeder hat seine Schmerzen und seinen Kummer. Der kalte Verstand der Zähler, der passive Gleichmut der Cualcua, die Unbarmherzigkeit der Jentsh – wo wollte man die Waage hernehmen, um zu entscheiden, was schlechter ist?
    Wenn wir jedoch all das zerbrächen, was die Natur uns mitgegeben hat, was Evolution, Erziehung und Gewohnheit in uns verankert haben …
    Gegen den knarzenden Zaun gelehnt, spähte ich zur Nachbardatscha hinüber. Obwohl es noch nicht neun war, machten sich dort bereits Handwerker zu schaffen. In der Nähe des Hauses wurde etwas Grandioses gebaut. Für mich sah es aus wie ein Hubschrauberlandeplatz mit Hangar. Die Arbeit ging zügig und absolut lautlos voran, wie im Traum. Anscheinend setzten sie einen dieser schalldämpfenden Vorhänge ein, die wir seit einem halben Jahr von Andiana-7 importierten. Teures Zeug. Aber gut, dass wir den jetzt hatten, denn seltsamerweise war der Schlaf meines Großvaters noch immer leicht.
    Ob die neureichen Russen bald Startplätze für interstellare Jachten in ihren Vorortvillen errichten würden?
    Wahrscheinlich schon.
    Möglicherweise würde ich nie wieder in den Kosmos fliegen. Dafür könnte ich dann die startenden Schiffe beobachten. Vom leisen Pfeifen der zerrissenen Luft aufwachen.
    Natürlich nur, falls der mir nach den wochenlangen Verhören nun erteilte Hausarrest nicht in ein gemütliches sibirisches Sanatorium umgewandelt wurde …
    Die Tür der Nachbardatscha ging auf, und aus dem Haus schoss wie eine Kugel ein zerzauster Junge in Shorts und flatterndem T-Shirt, der offenbar fürchtete, mich zu verpassen. Als er mich an meinem gewohnten Platz sah, verlangsamte Aljoschka den Schritt. Immerhin kam er direkt auf mich zu, ohne seine sonst üblichen Kreise zu ziehen.
    »Hallo«, begrüßte ich ihn als Erster. Tyrann sah mich an und verzichtete darauf, Aljoschka anzuknurren.
    »Guten Tag …«, brachte der Junge verlegen heraus. Er zögerte eine Sekunde, dann fuhr er energisch fort: »Ihr Haus ist durchsucht worden. Zwei Tage hintereinander!«
    »Hmm.« Ich nickte.
    Aljoschka druckste herum, konnte sich aber nicht entscheiden, mich auszufragen. Am Ende siegte seine Neugier. »Wo waren Sie denn?«
    »Weit weg«, sagte ich. »Sehr weit weg.«
    »Auf der Zitadelle?« Aljoschkas Augen leuchteten. Selbstverständlich kannte er sämtliche Neuigkeiten aus dem Kosmos. Über die Versammlung der Starken Rassen des Konklaves hatten alle berichtet, auch wenn niemand wusste, was ihr vorausgegangen war.
    »Noch weiter«, antwortete ich einsilbig.
    »Kann man es von hier aus sehen?«
    Natürlich kann man den Kern der Galaxis von der Erde aus sehen. Aber ich wollte dem Jungen eine Enttäuschung ersparen. »Nein.«
    Er blieb weiter bei mir stehen und bohrte die Spitze seines Turnschuhs mit den losen Schnürsenkeln in die Erde. Ich wartete geduldig.
    »Pjotr … wollen Sie mir denn keinen Stein schenken?«
    Wenn er mich gefragt hätte, ob ich ihm einen Stein mitgebracht hätte, hätte ich den Kopf geschüttelt. Aber so … Ich bückte mich und hob einen kleinen Kiesel auf. Einen grauen, staubigen Stein, der sich durch nichts von den Millionen seiner Artgenossen unterschied.
    »Hier.«
    Der Junge nahm den Stein verwirrt an sich. Er drehte ihn zwischen den Fingern und sah mich an. Seine Augen funkelten misstrauisch auf. Er hatte nicht erwartet, dass sich sein Idol über ihn lustig machen würde … War am Ende also auch ich wenigstens für einen Menschen ein Idol!
    »Das ist ein Stück eines Planeten, Aljoschka«, sagte ich. »Ein kleiner Splitter eines kleinen Planeten, auf dem Menschen leben.«
    Er schwieg.
    »Ein absolut gewöhnlicher Planet, mein Junge«, fuhr ich geduldig fort. »An ihm ist nichts Besonderes. Es gibt viel Wasser, aber auch genug Festland. Die Wolken ziehen so, wie es ihnen gefällt. Es regnet immer genau dann, wenn es dir nicht passt. Es ist wahnsinnig dreckig, die Wälder gehen ein …«
    Mit einem Mal wurde sein Blick fester. Und seine Lippen zuckten, aber nicht in einem halbkindlichen Weinen, sondern in einem zaghaften Lächeln.
    »Ein
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