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Sternenfaust - 069 - In Ketten

Sternenfaust - 069 - In Ketten

Titel: Sternenfaust - 069 - In Ketten
Autoren: Luc Bahl
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das Gebilde kleiner und dünner. Es endete in einer länglichen Spitze von der Dicke einer Nähnadel.
    Der Chronist der Wloom steckte diesen Auswuchs in das Zentrum des kreisförmigen Wurzelwerks. Keine drei Sekunden später begannen sich am äußersten Rand des konzentrischen Gebildes die zarten Wurzeln zu bewegen. Mit einer verblüffenden Schnelligkeit wuchsen sie weiter, verzweigten sich, brachen abrupt ab, um an anderer Stelle mit dem Wachstum fortzufahren und formten auf diese Weise die ineinander verschlungenen Schriftzeichen der Toten Götter.
    So entstehen unsere Bücher, las sie. Die Schreiber der Wloom beherrschten seit Anbeginn der Zeiten die von Generation auf Generation vererbte Fähigkeit, das Wachstum dieser besonderen und als heilig verehrten Pflanzen zu beeinflussen.
    Unsere kosmischen Mentoren, die ihr die Toten Götter nennt, verrieten uns dieses Geheimnis und verbanden es mit zwei unumstößlichen Geboten: Nur in das Mysterium eingeweihte Schreiber dürfen den Namen der Pflanze erfahren. Und nur sie dürfen das Verfahren erlernen, wie die Buchstaben des Wissens mit Hilfe der heiligen Pflanze geformt werden.
    Das bedeutet, dass dieses Wissen mit dir als letztem Chronisten der Wloom erlischt …, notierte Dana rasch auf ihrer Tafel. Doch Seng nahm ihren Einwand nicht zur Kenntnis, sondern fuhr unbeirrt fort.
    Ist das Werk vollendet, verlässt der Geist, der die heilige Pflanze beseelte und zu ihrem Wachstum anregte, den Korpus, um in einem der Samenkörner einen neuen Lebenszyklus zu beginnen. Das, was die Schreiber der Wloom niederschrieben, war während der Entstehung ein lebendiges Werk und kann es so auch bleiben.
    Was, notierte Dana erneut auf der Tafel, geschieht mit dem Buch nachdem es vollendet wurde? Das ist eine philosophische Frage , überlegte Dana gleichzeitig, ob ein Werk nach seiner Entstehung noch lebendig ist … Es kam ihr so vor, als habe Seng ihre Gedanken erraten.
    Er antwortete.
    Mit dem Text ist eine neue Seele in das Buch eingedrungen: Die eigentliche Seele des Buches, die zu einem Teil aus der Seele des Chronisten besteht, zum wesentlich größeren Teil jedoch aus dem Geist der Welt, der sich in den Schriften Stück für Stück enthüllt.
    Hat die ursprüngliche Seele der heiligen Pflanze das Gewächs verlassen, fuhr Seng fort, wird das Wurzelwerk konserviert. Es erstarrt und kann nur noch zerstört, aber nicht mehr in seinem Inhalt verändert werden. So kann das Buch eine lange Zeit überdauern; unzählige Generationen von Schreibern lang. Die Chronisten erhaschen damit einen Hauch der Unsterblichkeit.
    »Beeindruckend«, sagte Dana laut.
    Ich bitte dich, schrieb sie auf die Tafel, uns Zutritt zu eurer Bibliothek zu gewähren. Sei unbesorgt, ich bürge mit meinem Leben dafür, dass wir euren Büchern mit dem notwendigen Respekt begegnen. Wir wollen sie lediglich lesen.
    Damit werdet ihr viele Generationen lang zu tun haben, denn die Bibliothek ist sehr groß!
    Vielleicht, erwiderte sie, kannst du uns helfen, das zu finden was wir suchen.
    Wir werden nur das herausfiltern, was wir wirklich brauchen und dabei helfen uns unsere Aufzeichnungsgeräte , dachte sie und grinste insgeheim über die Vorstellung, sich auf Jahre in einer staubigen Bibliothek zu vergraben, um nach Informationen über die Toten Götter zu suchen. Doch selbst, wenn sie schnell arbeiteten, konnte es sehr lange dauern, bis der Bestand der Wloom-Bibliothek erfasst war.
    Ihre Gedanken rasten. Die Auflösung eines uralten Rätsels, das sie nun schon so lange beschäftigte, schien nur noch ein paar Schritte durch die Höhle entfernt zu sein. Sie spürte, die verborgene Bibliothek musste sich ganz in der Nähe befinden.
    Sie musste umsichtig und diplomatisch vorgehen, ermahnte sie sich. Sie würde, nachdem Seng ihr die Bibliothek gezeigt hatte, ihm als Erstes die Zustimmung abringen müssen, dass sie in ihrer Arbeit von möglichst vielen Helfern unterstützt werden konnte. Es war unbedingt notwendig, dass auch die anderen Expeditionsteilnehmer Zugang zu der Bibliothek erhielten und bei der Auswertung mitarbeiten konnten.
    Wirst du mir die Bibliothek zeigen?, schrieb sie auf die Tafel.
    Sobald die Zeit gekommen ist, antwortete Seng.
     
    *
     
    Sie waren auf dem Weg zum Seichten Meer.
    Die Tage ungeduldigen Wartens waren endlich vorüber. Tage, in denen Dana mehr als einmal daran zweifelte, ob Seng seine Ankündigung, ihr Zugang zur verborgenen Bibliothek der Wloom zu gewähren, tatsächlich einhalten würde.
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